piwik no script img

US-Weltmacht- interessen am Golf

■ betr.: „Die Bevölkerung als Geisel“, taz vom 8. 1. 96

Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) veröffentlichte im Herbst 1995 eine Studie, in der die US/ UN-Sanktionen geegen den Irak für den Tod von über 560.000 Kindern verantwortlich gemacht wurden. Dieser Genozid reiht sich ein in eine Vielzahl von Kriegsverbrechen, für die die US-amerikanische Administration verantwortlich zu machen ist.

Washington hält aus strategischen und wirtschaftspolitischen Gründen an den Sanktionen fest und versucht so – mit dem irakischen Volk als Geisel – seine Weltmachtinteressen am Golf durchzusetzen. Die wesentlichen Gründe für die Aufrechterhaltung der Blockade gegen den Irak scheinen mir folgende zu sein:

1. Mit den Sanktionen soll suggeriert werden, daß immer noch eine Gefahr von diesem Land ausgehe. So werden weiter Bedrohungsängste in Saudi-Arabien und Kuwait geschürt. Die Regime beider Golfstaaten meinen nun, auf den „Schutz“ durch US-Truppen nicht verzichten zu können. Eine von Washington – zur direkten militärischen und wirtschaftlichen Kontrolle der Ölfelder – gewünschten Stationierung seiner Truppen ist so längerfristig gewährleistet, und die Stationierungskosten werden durch die betroffenen Länder getragen.

In diesem Zusammenhang muß auf den für Washington bedeutsamen Waffenhandel mit den erwähnten Ländern hingewiesen werden, welcher zwar keine zusätzliche Sicherheit für die Golfregion bringt, jedoch fließen so Milliarden von Petrodollar in den maroden US-Haushalt.

2. Eine Aufhebung der Wirtschaftssanktionen würde zu massiven Ölverkäufen des Iraks führen. Rapide Preiseinbrüche auf den internationalen Ölmärkten wären die Folge. Dies kann weder im Interesse von Saudi-Arabien noch Kuwait liegen. Beide Länder sind durch hohe Stationierungskosten und Waffenkäufe auf einen stabilen Ölpreis angewiesen. Auch den Amerikanern käme diese Entwicklung ungelegen. Saudi-Arabien und Kuwait würden eventuell zahlungsunfähig oder müßten ihre Ausgaben drastisch einschränken. In erster Linie wäre der Handel mit den USA betroffen. Ein weiterer Punkt dürfte sein, daß ein fallender Ölpreis den Dollarkurs negativ beeinflussen könnte.

3. Die zur Zeit andauernden sogenannten Friedensverhandlungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn dürften einen weiteren Grund für die Aufrechterhaltung des Embargos liefern. Hier sitzen sich zwei ungleiche Parteien gegenüber. Militärisch schwache und untereinander zerstrittene Länder sehen sich mit einer Weltmacht und dem mit atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen hochgerüsteten Israel konfrontiert. Von den Vereinigten Staaten wird eine Ordnung in dieser Region angestrebt, die den langfristigen Interessen ihres Schützlings Israel dient und den eigenen Einfluß vergrößert. Ließe man ein Wiedererstarken des Iraks und eine Rückkehr des Landes in die arabische Gemeinschaft zu, so wäre ein einheitliches Vorgehen des gespaltenen arabischen Lagers und ein Boykott der nahöstlichen „Friedensverhandlungen“ nicht auszuschließen.

Wir sehen an diesen Beispielen, daß der Irak kaum einen Einfluß auf die Beendigung des Embargos hat. Hier spielen Interessen eine Rolle, die außerhalb der irakischen Einflußmöglichkeiten liegen. Es scheint also unerheblich, ob der Irak die von den USA durchgepeitschten UN-Resolutionen erfüllt oder nicht. Diese Resolutionen dienen wohl eher der Verschleierung der wahren Hintergründe des Golfkrieges und der Sanktionen. Als propagandistische Rechtfertigung für den fortgesetzten Genozid an der irakischen Bevölkerung lassen sie sich jedenfalls vortrefflich einsetzen. Leider haben es Washingtons Hofberichterstatter in den westlichen Medien bisher unterlassen, nach der Vereinbarkeit dieser Beschlüsse mit dem internationalen Recht zu fragen. Es erscheint mir auch dringend notwendig, über die Legalität von Resolutionen eines demokratisch nicht legitimierten Sicherheitsrates öffentlich zu diskutieren.

Durch unsere regelmäßigen Besuche im Irak wurden wir nicht nur Zeugen der sich permanent verschlechternden Lebensbedingungen für den größten Teil der Bevölkerung, sondern auch der immensen Zerstörungen, die durch – einen im Verhältnis zu seinen propagierten Zielsetzungen – disproportionaler Krieg angerichtet hat. Um Kuwait zu befreien, hätte es nicht der Zerstörung von Wohn- und Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten sowie der zivilen Infrastruktur – wie die Wasser- und Stromversorgung – bedurft. Es sei denn, dieser Krieg gegen den Irak diente anderen als den öffentlich geäußerten Zwecken. Wer Reparationszahlungen für die vom Irak in Kuwait angerichteten Schäden will, muß ebenso eine Wiedergutmachung für das irakische Volk fordern, dem durch alliierten Bombenterror und Blockade unermeßliches Leid zugefügt wurde. Gerhard Lange, Gesellschaft für

Internationale Verständigung,

Göttingen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen