: Immer rein ins Vakuum
Khakiträume im Berliner Hebbeltheater: Irene und Hans Magnus machen Mozarts „Zaide“-Fragment zum verbalrhythmischen Knallbonbon ■ Von Katja Nicodemus
Wäre Mozart klar gewesen, wer im Laufe der Jahrhunderte so alles an seinem namenlosen Opernfragment herumdoktern würde, hätte er es schnellstens zu Ende komponiert. So bleibt eine Reihe von Geheimnissen: Sollte das Stück wirklich mit dem zweiten Akt enden? Wünschte Wolfgang Amadeus ein tragisches oder ein Happy End, nachdem das Originallibretto seines Freundes Andreas Schachtner sang- und klanglos abbricht? Und überhaupt: Warum unterbrach er zwischen 1778 und 1779 die Arbeit an der fast fertigen „Zaide“ (der Titel stammt vom Verleger Johann Anton André, der das Werk erst 1838 herausgab)? Wurde die für Wien gedachte „Türkenoper“ auf Eis gelegt, weil Maria Theresia starb und die Theater vorerst geschlossen blieben?
Fragen über Fragen und ein kompositorisches wie librettistisches Vakuum, das sich allerhand Klein- und Kleinstgenies zunutze machten. Schon Verleger André schmiert wild in der Partitur herum, klatscht eine Ouvertüre an das Drama im Serail. Überführt den offenen Schluß der Geschichte von der schönen Zaide, ihrem Verehrer Gomatz und dem Sklaven Allazim, alle drei Gefangene des eifersüchtigen Sultans Soliman, ins Wohlgefallen plötzlicher Familienversöhnung. Um die Jahrhundertwende verlegt Robert Hirschfeld die Handlung ruckzuck von der Türkei auf eine griechische Insel. Und Anfang der Achtziger bringt Italo Calvino die bemühten bis haarsträubenden Bearbeitungen des Mozart-Fragments als geschickt verschachtelte Stück-inStück-Varianten auf die Bühne. Spielerei und musikwissenschaftliche Rekonstruktion in einem.
200 Jahre zwischen Pfusch und Meta-Mozart, aber keine fertige „Zaide“. Bis die Berlin-München- Connection zuschlug: Irene, Magnus, Mozart. Nur kurz habe er mit der Schriftstellerin Irene Dische gesprochen und sofort gewußt, „das isses“, freut sich Dirigent Christoph Hagel. Jahrelang hatte der Gründer des Hans-von-Bülow- Orchesters nach einem kongenialen Texter für die Neufassung der dahindämmernden „Zaide“ gesucht. Von der Dische war es dann nicht mehr weit zum Freund und Mentor Enzensberger.
In seiner „Deutschen Operette“ verfrachtet das dichtende Duo die Ereignisse in ein Guerillacamp irgendwo in der Wüste. Johannes Grützkes Bühnentableau: ein Traum in Khaki. Gleich zu Beginn geht's in die Vollen, wenn Gomatz (Gert Henning-Jensen) im Tarnanzug schmettert: „Uns kann keiner mehr verjagen / denn dort haben wir das Sagen / und wenn einer das nicht schnallt, wird er einfach abgeknallt.“ Programmatische Zeile, denn von den ursprünglichen Figuren lassen Enzensberger/ Dische keinen Krümel übrig. Zaide (Laura Aikin) wird zur Millionärstochter, die sich im heimischen Palm Springs via Fernsehen in den arabischen Rebellenführer Soliman (Pär Lindskog) verguckt.
Orientalismus-Mode und Dritte-Welt-Romantik, so kokettierte schon das Wien des 18. Jahrhunderts in seinen „Türkenopern“ mit der bedrohlichen Faszination der 1683 zuletzt zurückgeschlagenen Türken. Ein Knallbonbon aus Schlagerkitsch, musikalisierter Alltagssprache und Lausbubenlyrik ist den beiden Librettisten mit ihrer modernen Exotismus-Variante gelungen. Dische: „Es war wie im Sand buddeln und eine Sandburg bauen. Einer macht das Fenster, einer die Tür.“ Und die Sänger der Staatsoper buddeln begeistert mit, froh, dem Schachtnerschwulst zu entkommen.
Daß Mozart und Enzensberger/ Dische, Musik und neuer Text, zur Synthese finden, wie Dirigent Hagel meint, sei allerdings bestritten. Während die vertraut-verschlafenen Libretti geradezu die Konzentration auf die Musik erzwingen, hat die verbale Frischzellenkur den gegenteiligen Effekt: Stets bemüht man sich, die Daktylen, Jamben und Hexameter der gewitzten Texter durch die Noten zu erhaschen. So stiehlt der Sang dem Klang die Show. Derweil sich die Ereignisse im Wüstenlager überschlagen. Kaum ist der TV-verblendete Teenie eingetroffen, überzeugt Gomatz seinen Guerillaführer Soliman, das millionenschwere Mädel zu ehelichen: „Du brauchst ein Familienleben / Unser Volk verlangt das eben...“ Dann beginnt er prompt ein Verhältnis mit der Zukünftigen des Chefs. Mannsbild Soliman reagiert brachial: „Mein Freund und Bruder / der fickt dieses Luder.“
Alexander Schulin, Patrice- Chérau-Schüler und Regisseur des Ganzen, kennt nur ein Ziel: der Oper die Oper auszutreiben. Da biegt Soliman dem verräterischen Rivalen in einer zirkusreifen Folterszene zu aufgebrachten Apeggiaturen mal eben das Bein über den Kopf. Beim hochdramatischen Liebesstreit steht die aufgebrachte Zaide im rosa Negligé mit gespreizten Beinen über Gomatz, dessen Muscle-Shirt sich über den knackigsten Tenorkörper aller Zeiten spannt: „Ratte, erst jetzt weiß ich, was du bist / nur ein kleiner, mieser Terrorist.“
Einen Höllenspaß muß das diabolische Dichterduo beim Ausklabüsern seiner deftigen Verse gehabt haben. Vom Riesenapplaus, abgerundet durch ein, zwei heisere Buhrufe, zeigten sich die beiden dann fast überrumpelt. Während sich Frau Dische im langen lila Kleid hinter ihre Haarmähne zurückzog, taumelte Enzensberger mit puterrotem Kopf beglückt über die Bühne.
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