„Die Geister, die ich rief...“

Vor vier Jahren stieg Jörg Fischer aus der rechtsradikalen Szene aus. Erst heute bekennt sich der ehemalige Neonazi öffentlich dazu: „Ich will zeigen, wie leicht man da hineingerät“  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Ich habe ein schlechtes Gewissen, aber ich will keine Absolution.“ Jörg Fischer ist aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Der schmächtige Mann aus Nürnberg sieht nicht gerade wie ein schlägernder Fascho aus. Als ehemaliger Funktionär der rechtsextremen NPD und der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ war der 27jährige ein Schreibtischtäter. Er weiß, daß er mit seinen Pamphleten und Artikeln einen Beitrag zu rassistisch motivierten Gewalttaten geleistet hat. Deswegen hat er auch aufgehört, still und leise vor vier Jahren. Jetzt geht er an die Öffentlichkeit. Er will andere ermuntern, es ihm nachzutun.

Zu Beginn seiner Karriere am rechten Rand war Jörg Fischer gerade mal 13 Jahre alt. Als er 1982 beim Versorgungsamt in Nürnberg als Diabetiker einen Schwerbehindertenausweis beantragt, landet er beim Sachbearbeiter Günther Rust, dem stellvertretenden Kreisvorsitzenden der rechtsextremen NPD. Der verwickelt den Schüler in ein Gespräch über ausländische Kinder an den Schulen und drückt ihm die NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme in die Hand. Jörg Fischer solle sich das mal durchlesen und wieder vorbeikommen. Fischer zeigt sich interessiert, sein Antrag wird bevorzugt behandelt.

Kurze Zeit darauf beginnt er bei der Schülerzeitung Frontal mitzuarbeiten. Herausgeber: die Jungen Nationaldemokraten. Die Jugendorganisation der NPD will eine „aktivistische, höchst mobile, völlig entbürokratisierte Gruppe von politisch Militanten“ sein. Und das will Jörg Fischer auch. Schnell steigt er innerhalb der Organisation auf. 1986 ist er, der zwischenzeitlich die Mittlere Reife absolviert hat, verantwortlich für das Mitteilungsblatt der JN-Bayern.

Mit 18 unterschreibt er den Aufnahmeantrag in die NPD. Als Belohnung darf er an einer einwöchigen parteiinternen Schulung in Italien teilnehmen. Man hat Großes mit ihm vor. Zukünftig soll er die Sympathiewerbung der Partei übernehmen. Zunächst ist er jedoch für die Pressearbeit im Kreisverband Erlangen-Höchstadt zuständig, dann wird er Mitglied des Bezirksvorstands Mittelfranken.

Parallel dazu steigt Fischer in der DVU ein. Parteichef Gerhard Frey heuert ihn als Redakteur für seine Deutsche Nationalzeitung an. Fischer knüpft Kontakte zu Harald Neubauer, dem „zweiten Mann“ bei den „Republikanern“. Man trifft sich im Münchner Löwenbräu-Keller. Doch bevor Fischer zu den Reps wechseln kann, überwirft sich Neubauer mit dem damaligen Rep-Chef Franz Schönhuber. Zusammen mit den abtrünnigen NPD-Führern Martin Mußgnug und Harald Schützinger gründet er die „Deutsche Liga für Volk und Heimat“.

Dort findet auch Jörg Fischer eine neue Heimat. Er wird Bezirksbeauftragter dieser selbsternannten „Vereinigten Rechten“ und Pressesprecher des Frankenrates. Auf Parteiveranstaltungen ruft Fischer dazu auf, eine „Widerstandsbewegung gegen Verzicht, Verrat, Ausverkauf deutscher Interessen und Überfremdungsdruck aufzubauen“. In der Parteizeitung Deutsche Rundschau hetzt er gegen „Scheinasylanten“ und schreibt im Dezember 1991 gar den Aufmacher über die Wahlerfolge von Jörg Haider. „Der europaweite Rechtsruck ist da“, jubelt Fischer und ist sich sicher, daß „auch in Deutschland 15 Prozent drin“ seien.

Als dieser Artikel erscheint, hat Jörg Fischer schon sein Austrittsschreiben losgeschickt – ohne Begründung. „Ich hielt die Doppelmoral nicht mehr aus“, begründet er heute seinen Schritt. „Nach außen die taktische Distanzierung von militanten Neonazis, in Wirklichkeit aber eine wohlwollende Zusammenarbeit. Nach entsprechenden Veranstaltungen wurden Aufkleber der NSDAP- AO verteilt und das Hitler-Buch ,Mein Kampf‘ zum Verkauf angeboten.“ Fischer kam in Kontakt mit den notorischen Auschwitz- Leugnern Thies Christophersen und Ernst Remer. Bei privaten Zusammenkünften in Stein bei Nürnberg wurden unter lautem Gejohle Filme wie „Der ewige Jude“ und „Jud Süß“ gezeigt.

Auch die sich 1991 häufenden Brandanschläge auf Flüchtlingsheime geben Jörg Fischer zu denken. „Ich kam mir vor wie Goethes ,Zauberlehrling‘. Die Geister, die ich rief, wurde ich nicht mehr los.“ Er fühlt sich mitverantwortlich und zieht sich zurück.

Ehemalige Mitstreiter erinnern ihn an die stets propagierten Grundsätze: „Ehre, Treue und Standhaftigkeit“. Doch Fischer will seine Ruhe haben. Die Deutsche Liga reagiert langsam. Erst im August 1992 verschwindet sein Name aus dem Impressum des Parteiblattes. Der Verfassungsschutz ist da schneller. Man will ihn beim Herausgeber des einflußreichen Monatsmagazins Nation und Europa, Peter Dehoust, in Coburg einschleusen, stellt ihm Geld in Aussicht. Doch Fischer lehnt ab und arbeitet lieber als Versicherungsvertreter. Dann macht er eine Ausbildung als Altenpfleger, engagiert sich bei der ÖTV und wird Betriebsrat.

Es dauert lange, bis er die Phase der inneren Emigration beendet. Mit einem „mulmigen Gefühl“ wendet er sich an die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“. „Diesen Leuten habe ich doch jahrelang ,Rotfront verrecke!‘ entgegengeschrien.“ Fischer läßt sich überzeugen, an die Öffentlichkeit zu gehen. „Ich will zeigen, wie leicht man als junger Mensch da hineingerät, aber auch, wie man wieder herauskommt.“ Denn viele machen den Schritt nicht, „weil sie Angst davor haben, alle Freunde und ihr ganzes Umfeld zu verlieren“.

Und er weiß, daß Verbote und Gegendemonstrationen allein das Problem des Rechtsextremismus nicht lösen können. „Wir hatten nie das Gefühl, besonders ausgegrenzt zu sein“, meint er heute. Viele Inhalte der extremen Rechten seien „gesellschaftsfähig“. Fischer erinnert sich an die „guten Kontakte zu örtlichen CSU-Kreisen“. Schwierigkeiten mit Polizei und Verwaltungen habe es „nie“ gegeben, man sei im Gegenteil „oft zuvorkommend behandelt“ worden. „Wie ein einsamer Steppenwolf bin ich mir als Rechtsradikaler nicht vorgekommen.“