: Stilles Knotenlösen
■ Die Künstlerin Hyun Sook Song erhält den Edwin-Scharff-Preis 1995
Gibt es noch Zeichen und Wunder in einer sich sozial und intellektuell verdüsternden Zeit? Dies auch noch im Feld der Kunst und dann noch in Hamburg? Die Antwort lautet überraschenderweise „ja“, denn mit der Verleihung des renommierten Edwin-Scharff-Preises 1995 der Stadt Hamburg an die südkoreanische Künstlerin Hyun Sook Song wird nach 10 Jahren nicht nur eine Frau, sondern zudem eine unter uns lebende ausländische Malerin geehrt.
1951 wechselte die in einem südkoreanischen Bergdorf geborene Künstlerin in die ehemalige BRD. Hier arbeitete sie zunächst als Schwesternhelferin – ein damals gängiger Weg des Kulturenwechsels, mit allen seinen Schwierigkeiten und versteckten Klippen. So benannte man die Künstlerin um in „Maria von der inneren Station“ und bewies eine bemerkenswerte Achtungslosigkeit gegenüber dem Fremden.
Von 1976 bis 1981 studierte die Preisträgerin dann an der HfbK in Hamburg. Schon kurz darauf entwickelte sie eine unverwechselbare zeichenhafte Bildsprache, die sich mit schweren Inhalten wie Unterdrückung, Tod und der Bearbeitung der eigenen, von Religion und Ritual geprägten Kindheit beschäftigte. Zunehmend gerieten Fragen des west-östlichen Transfers in ihr Blickfeld: Die ländliche, südkoreanische Erfahrungswelt erscheint ihr dabei auf Grund der umgreifenden Amerikanismen genauso bodenlos wie die Erfahrung des industriellen Großstadt-Alltags im Westen.
Aus diesen Widersprüchlichkeiten entwickelt sie konsequent ihr Thema: Die Tage der Kindheit setzen Gedanken und Gefühle aus der Provinz des Vergangenen und des Herzens frei – die Ambivalenz von Neugier und Angst, Freude und Melancholie, Tradition und Neugier. Knoten werden symbolisch gelöst. Auch formal werden die künstlerischen Mittel erweitert: Der Film wird gleichwertig integriert, und als Verbindung zwischen ihm und der Malerei werden Foto-Performance und Raum-Installation entwickelt.
Die Malerei von Hyun Sook Song ist geeignet, sie als einen Weg der Befreiung aus den komplexen Disputen um dieses Medium zu betrachten: Ihre Synthese zwischen schneller, höchst konzentrierter, gestischer Malerei asiatischer Provenienz, kalligraphischen Elementen, Naturalismen und experimenteller Expression führen das Bild auf eine gerade heutzutage elementare Aufgabe zurück. Konzentrierte Stille gegen eine inflationär überflutete Welt der Bilder und schnellen Schnitte. In dieser Atmosphäre ist lebensnotwendige Erinnerung möglich.
Diese sensible Berührung mit dem Leben kann sich nur in Demut und Bescheidenheit einstellen. Ziel ist es, sich dem Fremden als schöpferischer Bedingung zu stellen, es verstehen zu lernen und eine neue Klarheit zu finden. Der koreanische Schamanismus hilft bei dieser Befreiung und wird zentrales Thema des poetischen Filmdokuments Mein Herz ist eine Flasche (Co-Regie: ihr Lebensgefährte Jochen Hiltmann). Im Zusammenhang mit dieser Arbeit erhielt sie den hessischen Filmpreis 1994, geriet aber zugleich in einen Konflikt mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Zum gleichen Thema – der schamanischen Religiosität koreanischer Frauen – sendeten SWF und NDR einen Film, dessen sensationsheischende Ästhetik nicht dem dargestellten Kut-Ritual entsprach. Die verantwortlichen Journalisten ließen sich aber weder Tatsachen noch den Film Hyun Sooks näher bringen und verweigerten jegliche Prüfung.
Auch aus diesem Grund ist es Jury und Kulturbehörde hoch anzurechnen, daß sie sich hier gegen den Strom der Zeit und für eine Poetin aus dem „Land des stillen Morgens“ entschieden haben, die den Dialog mit dem Fremden in Ost und West führt, ohne andere zu verletzen.
Gunnar F. Gerlach
Film-Vorführung: Montag, 17 Uhr, Abaton und 2./3.3., 13.30 Uhr; Preisverleihung: Sonntag, 17 Uhr, Abaton
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen