: Himmel auf Erden
■ Kiki Smith, für ein Jahr Gastprofessorin an der HfbK, im Gespräch über Kunst, Feminismus, Religion und Parallelität
Eine gehäutete Madonna, gekrümmte Figuren, denen das Innere nach Außen tritt, eine Maria Magdalena, wild behaart und an die Kette gelegt oder Spermien aus Bronze: Mit ihren Plastiken zur Körperwahrnehmung gilt Kiki Smith als eine der wichtigsten Künstlerinnen der jüngeren Generation. Die Hamburger Hochschule für bildende Künste hat die 41jährige New Yorkerin jetzt für dieses Jahr als Gastdozentin verpflichtet. Hajo Schiff sprach mit der schwarz gekleideten und notorisch strickenden Künstlerin.
taz: In Ihrem Programm für die Studenten haben sie die Ausstellungen von Louise Bourgeois (Deichtorhallen) und Paul Thek (Nationalgalerie Berlin) empfohlen. Schon 1991 hat das Schweizer Kunstmagazin „Parkett“ Bourgeois, Gober und Thek in einem Heft zusammen behandelt. Meinen Sie nicht, daß Sie in dieser Gruppe ganz deutlich fehlen?
Kiki Smith: Nein. Ich finde es okay, wenn ich in einer Diskussion mit diesen Künstlern zusammengefasst werde, aber wenn nicht, fühle ich mich nicht schlecht.
Nach zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen haben Sie jetzt bis Ende Februar in der spätgotischen Lübecker Petri-Kirche ihre erste Einzelausstellung in Deutschland. Wenn ich dort die „52 Glastränen“ sehe und an die Verwendung von Glastränen bei Louise Bourgeois denke, ist das doch eine sehr ähnliche Art des Ausdrucks.
Menschen sind nicht völlig einzig. In den verschiedenen Kulturen haben sie verschiedene Erfahrungen, aber innerhalb einer Kultur wächst man mit ziemlich ähnlichen Ausdrucksweisen auf. Wir sind Teile eines Ideensystems. Erst später wird dann Einzelnen eine Bedeutung zugeschrieben, die aber eigentlich aus einem Kontext kommt.
„Ich will nicht die Wahrnehmung kontrollieren“
„Art recalls that what is absent“. Wenn also etwas fehlt, kommt das auch eines Tages wieder. Da sitzt man dann und arbeitet mit Glas und weißt nicht, das zwanzig andere auch gerade Glas machen. Es ist so etwas wie ein generelles Bewußtsein, das sich bemerkbar macht.
Können Sie das präzisieren?
Immer wenn speziellen Gruppen keine Form der sozialen Repräsentation gegeben wird, ruft die Kunst das ins Gedächtnis: Sklavenbefreiung, Bürgerrechtsbewegung der Sechziger, Feminismus, Afroamerican und Native American Movement. In den Neunziger Jahren drängt dann das Thema Körper in die Kunst, die Geschlechts- und Sexual-preference-Problematik. So hat Kunst eine soziale Funktion: Platz für das soziale Leben schaffen, ermöglichen, daß Menschen ein normales Leben führen und eine komplexe Person sein können.
Sie sind als Gastprofessorin gekommen, gerade zu dem Zeitpunkt an dem Marina Abramovic nach drei Jahren die Hochschule verläßt. Abramovic arbeitet ja sehr gruppenbezogen und rituell, Sie aber kommen zur autonomen Skulptur.
Das sollte man vielleicht gar nicht vergleichen. Eins negiert nicht das andere. Ich bin eine Objektemacherin, ich habe kaum Beziehung zur Performance oder zum Ritual. Ich bin vielleicht rituell, wenn ich Wiederholungen mache als Meditation, wie Stricken... ich habe ein Strickritual. Aber das Kunstwerk ist eine einzelne Einheit. Etwas anderes ist der Lust-Aspekt, wo du deine Liebe und Intention in Objekte steckst, das mag auch ritualistisch sein. Aber für mich sind Dinge eben Dinge.
Versuchen Sie nicht, die Rezep-tion besonders zu organisieren?
Sicher doch. Immer wenn man eine Ausstellung macht, versucht man, die Wahrnehmung zu organisieren. Man stellt Dinge in einen Kontext und installiert die Beziehungen zwischen den Objekten. Einzelnes kommt zusammen und ergibt hoffentlich etwas größeres als nur die Summe seiner Teile. Und dann verschwindet es wieder als individuelles Ding.
Das Kind versucht bei seinem Puppenhaus alles solange perfekt zu arrangieren bis es der Himmel auf Erden ist. Genauso ist es bei der Organisation des Kunstwerks. Du wählst verschiedene Sprachen, verschiedene Materialien, verschiedene ökonomische, soziale und geschichtliche, spirituelle und physische Effekte auf den Körper und steckst das alles in das Werk. In einem anderen Land weißt du gar nichts über diese Bedingungen. Sicher, manches überlappt, aber eine Menge auch nicht. So hast du keinen wirklichen Vergleich, was das bedeutet, was du tust.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich bin katholisch erzogen und so hat eine Menge meiner Arbeit mit dem katholischen Fetischismus des Körpers zu tun. Jetzt bringe ich das in ein evangelisches Land, in eine Kirche, der sie dies ausgetrieben hatten. Ich war mir gar nicht klar, das dies katholisch ist. Für mich ist es einfach Körperfetischismus, meine normale Realität, aber hier erhält es eine andere Lesart. Alles was ich tun kann, ist davon lernen: Ich kann und will nicht die Wahrnehmung kontrollieren.
Haben Sie einen Gedanken, den Sie schon immer mal gedruckt wissen wollten?
Vielleicht sollte ich sagen, wie bedeutend für mich die deutsche Kunst ist.
Das sind aber artige Komplimente...
Nein, es ist wahr. Als ich 1982 das erste Mal nach Deutschland kam, um Raimund Kummer in Berlin zu besuchen und Bogumir Ecker, Stephan Huber und Hermann Pitz traf, hat das meinen Horizont, was Kunst sein konnte, sehr erweitert. Auch bin ich sehr beeinflußt von der süddeutschen Skulptur des Mittelalters, z.B. von Meistern aus Nürnberg, wo ich ja geboren wurde. Auch wenn das Katholische schon Teil meines persönlichen Lebens war, hier in Deutschland sah ich erst all diese katholische Kunst.
„Ein Problem ist die geringe Präsenz von Frauen in Deutschland“
Was stört Sie am meisten am deutschen Kunstbetrieb?
Ein echtes Problem ist die geringe Präsenz von Frauen in Deutschland. Es ist geradezu krank. Denn es bedeutet, das nur ein Teil des Geschlechts mit all den sexuellen Präferenzen als Realität gesehen wird. Und das hat sehr schlechte Auswirkungen im Alltagsleben. An den Kunsthochschulen gibt es nur wenige Professorinnen, vor allem in der Freien Kunst, aber es gibt 50 Prozent weibliche Studenten. Wenn Du als Ziel forderst: im Jahr 2000 gleichviel Männer und Frauen als Professoren, lautet der Kommentar, das sei absurd.
Aber so wie es ist, ist es genauso krank. In den USA sind mindestens die Hälfte der Professoren weiblich. Und das dient nicht nur den Frauen, es ist auch für die Männer gut. Sie können ihre Erfahrungen mit der Hälfte der Bevölkerung nicht teilen.
Es gibt hier eine Menge Künstlerinnen, die talentiert, kreativ und inspirierend sind, aber nur exeptionell starke Persönlichkeiten haben es ohne Unterstützung geschafft. Es gibt zuviel Verlust. Es braucht viel Unterstützung, das zu ändern.
Das sind Forderungen einer feministischen Künstlerin?
Nein! Menschen nach dem Geschlecht auszugrenzen ist auch so ein deutsches Überbleibsel. Ich bin keine Frauenkünstlerin, nur ein Künstler, der weiblich ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen