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Zwischen den RillenWunderbare Aha-Erlebnisse...

■ ... nicht mehr ganz junger Männer: Guided by Voices und Grifters

Daß Indie-Rock nicht nur kommerziell zerrieben wird, andererseits nicht einzig und allein sich in den Elfenbeinturm verabschiedet hat – das beweisen mit schöner Regelmäßigkeit amerikanische Bands wie Guided By Voices und die Grifters: Beide setzen sich zusammen aus nicht mehr ganz jungen Männern aus den amerikanischen Provinzen; beide schwemmte der letzte größere Trend im Indie-Rock, auch Low-Fi-Sound oder Homerecording genannt, ins Bewußtsein einer interessierten Öffentlichkeit; beide sind größte Fans der jeweils anderen, und beide Bands basteln an einem Sound, der weder Anbiederung noch bewußte Isolation im Programm hat.

Guided By Voices harrten ihrer Entdeckung mindestens sieben Jahre lang, ohne daß ihnen das groß in die Lebensplanungsparade gefahren wäre. Mittlerweile kennt man sie – als unermüdliche Produzenten von immer wieder neuen Tonträgern, als großmütige Ideenverschwender, die es nie schaffen, weniger als zwanzig Songs auf ihre Alben zu bannen.

„Under The Bushes, Under The Stars“ ist schon ihr drittes, auch hierzulande gut erhältliches und promotetes Album innerhalb zweier Jahre, enthält erneut satte 24 Songs und sollte Gerüchten zufolge zumindest eine gewaltige Veränderung mit sich bringen: Die Rede war von Aufrüstung in Form einer fetten 24-Spur-Produktion, von freundschaftlicher technischer Mithilfe der Breeders- und Amps-Masterfrau Kim Deal. Doch so leicht trennt sich niemand von lieben Gewohnheiten, von einmal eingenommenen Positionen: Für Guided By Voices ist Low-Fi, selbst bei enorm gewachsenen finanziellen Möglichkeiten, eine Frage der Ehre, des Styles – und auch der künstlerischen Kontrolle.

Und so kreist auch dieses Album auf den bekannten Umlaufbahnen des GBV-Planeten, hebt die Band aus Dayton, Ohio, mit „Under The Bushes...“ erneut auf ihre bekannt kratzig-schrummelnde, jedoch immer hypermelodiöse Art und Weise die gesamte Rock 'n' Roll- Welt aus den Angeln. Aber auch eine Entwicklung darf, schließt man dabei die letzten Alben „Bee Thousand“ und „Alien Lanes“ mit ein, konstatiert werden: Guided By Voices dosieren ihre ungestümen Energien klüger und berechnender als ehedem. Robert Pollard, der oberste GBV-Scientist, der mit der verlorenen Seele, der, der sich selbst mit Rock 'n' Roll erschoß, geht mit seinen Einfällen und Kreativitätsschüben kontrollierter und gezügelter um, die Songs sind feinsäuberlich voneinander getrennt, wirken organisierter:

„Cut-Out Witch“ ist der schnelle süße Beat, zu dem man mit muß, „Burning Flag Birthday Suit“ der leicht pathetische, traurige Song, der für Pathos und Traurigkeit letztlich auch nur den Hohn einer ausklingenden akustischen Gitarre übrig hat, und die Frage „Was kostet die Welt?“ beantwortet der „Official Ironman Rally Song“. So geht das Song auf Song, emotionale Übergänge, mehrere Stimmungswechsel innerhalb eines Songs jedoch fehlen. Manchmal basslastige Dampfwalze, manchmal nur der eine Akkord, über den Pollard sein oft künstlich verzerrtes Organ legt: Aus dieser Musik spricht eine fast brutale Hingabe an das Hier und Jetzt und Sofort, ein satter, pubertierender Übermut, der Spinnertum und Teenagergebaren ideal miteinander verschweißt. Von Glamour war irgendwo im Zusammenhang mit Guides By Voices die Rede, und sieht man von der wie üblich dumpfen Produktionsqualität der Aufnahmen ab, strahlt und leuchtet es tatsächlich hell und klar in jedem ihrer Songs.

Im Gegensatz zu Guided By Voices entscheiden sich die Grifters aus Memphis dafür, einen Quantensprung zu wagen: Sie begeben sich für ihr viertes Full-Length-Album „Ain't My Lookout“ unter die Fittiche einer größeren Plattenfirma, in diesem Fall SupPop, und vertauschten ihre gute Stube mit einem guten Studio

Und, wie sie es auf der Cover- Rückseite verraten: Die Dinge änderten sich überhaupt nicht. Etwas voller klingt ihr Sound zwar, durch die besseren Produktionsbedingungen haben sich etwas mehr Klarheiten eingeschlichen, und Platz und Raum öffnen sich dort, wo früher die Rückkoppelungen standen.

Aber Gebrochenheiten, Tempowechsel, die Lust auf Verschrobenheiten blitzen zur Genüge auf, die großen Feger stehen wie gehabt neben schwer zu Verdauendem. Jubilierende Alt-Herren-Refrains wechseln auf diesem Album mit schwerfälligen, sonnenstichigen Bassrollern, so mancher Song zuckelt ganz nervös vor sich hin, andere sind immer kurz vor dem Auseinanderfallen: Angebote werden erst beim dritten oder vierten Mal gemacht, wunderbare Effekte und schöne Aha- Erlebnisse wollen erarbeitet sein – auch wenn man mit „Last Man Alive“ den locker swingendsten Popsong findet, den die Grifters je gemacht haben, einen Hormonhüpfer, der auf jeder Pavement-Platte sein extraordinäres Plätzchen haben könnte.

Leichter als mit den Zugängen zu ihrer Musik machen es sich die Grifters da mit den Themen, die sie verhandeln: So wie man am Ende der Welt in Memphis viel Zeit und Muße hat und Knarzigkeit kein Reflex auf die schöne neue Medienwelt darstellt, geht's in den Songs nicht gerade um die großen, weltbewegenden Themen (Rockmusik in der Krise und so), schon gar nicht um Weh und Leid bürgerlicher Individuen (so was macht man im stillen Kämmerlein), nein, nur um die ganz einfachen Dinge wie „girls, liquor and the solarsystem“. Gerrit Bartels

Guided By Voices: „Under the Bushes, Under The Stars“

(Matador/Rough Trade)

The Grifters: „Ain't My Lookout“ (SubPop/Wea)

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