: Hosenbeine bis zum Gurt aufgerissen
■ Ein ehemaliger Wachleiter packt aus: Rumänische Abschiebehäftlinge mußten jahrelang in der Abschiebehaft auf Anordnung der Polizei Lumpen tragen. Polizeivizepräsident Dieter Schenk: "Es geschah für das
Die Polizei hat laut dem ARD- Magazin Panorama von 1990 bis 1994 rumänische Abschiebehäftlinge in zerlumpte Trainingsanzüge gekleidet. Die taz sprach mit dem 60jährigen Polizeioberkommissar und langjährigem Wachleiter des Abschiebeknasts Kruppstraße, Wolfram Polewczynski, der den Skandal öffentlich machte.
taz: Wie sahen die Polizeitrainingsanzüge der rumänischen Abschiebehäftlinge genau aus?
Wolfram Polewczynski: Das waren Lumpen, die für den Reißwolf bestimmt waren. Es existieren etwa Lichtbilder von drei Rumänen, die in diesen Lumpen für das Polizeiarchiv fotografiert wurden. Ein dicker Rumäne trägt eine Hose, bei der zwei Drittel der Beine fehlen. Die Hose ist so klein, daß sie vom Bauch herunterrutscht. Die Jacke läßt sich nicht zumachen. Ein dünner Mann bekam am gleichen Tag eine Hose, deren Beine bis zum Gurt aufgerissen sind. Seine Hose ist wiederum so groß, daß er sie festhalten muß, damit sie ihm nicht ständig runterrutscht.
Rumäninnen erging es genauso?
Ja. Da gibt es zum Bespiel das Lichtbild einer 19jährigen Frau. Die Hose ist bis zum Knie aufgerissen. Die Jacke läßt sich nicht zumachen. Die eine Brust ist entblößt, die andere verdeckt sie durch ihr Baby, das sie auf dem Arm hält. Die Menschen mußten bis zu ihrer Abschiebung in diesen Sachen herumlaufen.
Was haben Ihre Kollegen damit bezweckt?
Es war Schikane. Nach dem Mauerfall gab es eine Gruppe von Rumänen, die sich in der Abschiebehaft Verletzungen zugefügt hatten, in der Hoffnung, ins Krankenhaus zu kommen, um dann von dort zu flüchten. Aber das war nur eine ganz kleine Gruppe. Danach hieß es bei der Polizei jedoch, die Rumänen wollten sich alle verletzen. Ein Abschnittsleiter verfaßte daraufhin ein Schreiben an die Direktionen, in dem die Bekleidung von Trainingsanzügen ohne Reißverschlüsse vorgeschlagen wurde. Der Direktionsleiter erteilte dazu seine Genehmigung. Es fehlten aber nicht nur die Reißverschlüsse, sondern halbe Hosenbeine. Ich habe monatelang vergebens mit der Bekleidungskammer wegen der Anbringung von Klettverschlüssen telefoniert. Die Antwort lautete, wir dürften das nicht, weil die Sachen Abfall seien.
In Lumpen gingen also ausschließlich Rumänen?
Ja. Damit wurde eine ganze Bevölkerungsgruppe drangsaliert. Leute aus Sri Lanka, Polen und Exjugoslawien haben sich auch manchmal selbst verletzt. Da wäre aber niemand auf die Idee gekommen, ihnen Lumpen zu geben.
Wie haben Ihre Kollegen reagiert?
Viele haben gesagt, die machen die Rumänen fertig, uns paßt das auch nicht. Aber bei einem so miserabel geschulten Personal kann man auch nicht viel erwarten.
Wußte die Polizeiführung davon?
Ich habe mich überall beschwert und natürlich auch an den Leiter des Landeskriminalamtes und Polizeivizepräsidenten Dieter Schenk geschrieben. Der hat am 23. August 1994 erwidert, ich müßte doch wissen, warum diese Leute so eingekleidet wurden. Und das, obwohl Herr Schenk die Bilder gesehen hat. In seinem Antwortschreiben heißt es wörtlich: „Die etwas dürftige Bekleidung ergab sich aus der polizeilichen Fürsorge für das leibliche Wohl der Häftlinge.“
Warum wurden die Lumpen 1994 dann doch abgeschafft?
Die Anordnung soll von dem damaligen Innenstaatssekretär Armin Jäger gekommen sein. Mich hat man behandelt, als ob ich nicht ganz dicht sei. Dreimal wurde ich zum Nervenarzt geschickt. Außerdem wurden gegen mich diziplinarische Vorermittlungen eingeleitet, die aber alle eingestellt worden sind.
Der jetzige Innenstaatssekretär Kuno Böse bezeichnet die Kleidung als normale Sportkleidung von Polizisten.
Wenn es eine Polizeieinheit gibt, die bereit ist, sich in solcher Kleidung zum Gespött der Leute zu machen, gebe ich zwei Fässer Bier aus. Interview: Plutonia Plarre
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