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Unheimliche Begegnung in Nicaragua

Bundespräsident Roman Herzog belobigt die Arbeit der Solidaritätsbewegung. Deren verbliebene Vertreter haben die politischen Transparente längst gegens weiße Hemd getauscht  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Vor weniger als zehn Jahren wäre so ein Staatsbesuch Anlaß für mindestens eine Botschaftsbesetzung gewesen. Deutsche Brigadisten, Solidaritätskomitees und Entwicklungsexperten hätten sich eine Sponti-Aktion einfallen lassen, um die Welt auf die Situation Nicaraguas und die Konspiration der deutschen Bundesregierung mit dem US-Imperialismus hinzuweisen. Helmut Kohl hatte die Wirtschaftshilfe an das sandinistische Nicaragua eingefroren, und die von Washington finanzierten Konterrevolutionäre ermordeten zwei deutsche Entwicklungshelfer.

Aus solchen Anlässen wurde die Bonner Vertretung in Managua im vergangenen Jahrzehnt dreimal Ziel von Besetzungsaktionen. Noch heute gibt der Neurochirurg Ernst Fuchs, alias Doktor Vanzetti, bereitwillig die Anekdote zum besten, wie ihn 1987 die Frau von Botschafter Rusnak im besetzten Missionsgebäude ein Arschloch geheißen hat.

Der Umgangston hat sich inzwischen gebessert. Während die Botschaft mit Stacheldraht und Panzerglas gegen unerwünschten Besuch der eigenen Landsleute gewappnet ist, kommt die neue Generation der Entwicklungshelfer lieber im weißen Hemd zum diplomatischen Empfang, als in T-Shirt und Sandalen politische Transparente zu entrollen. Die während der Revolutionsjahre eingefrorene Entwicklungshilfe ist längst aufgetaut, Bonn hat seit der Wende in Nicaragua jährlich mehr als 50 Millionen in das Land gesteckt – für 1996 sind 56 Millionen Mark an technischer und finanzieller Zusammenarbeit bewilligt –, und vor wenigen Monaten strich die Regierung 80 Prozent der nicaraguanischen Schulden, größtenteils von der DDR geerbte Altlasten.

Weder Fuchs, der einstige Feldchirurg der sandinistischen Guerilla, noch sonst einer der aus der sandinistischen Epoche verbliebenen deutschen Veteranen kamen auf die Idee, gegen den hohen Besuch zu protestieren. Der Baumeister Franz Thoma, der einst aus Kreuzberg nach Nicaragua gekommen war, um in San Rafael del Sur den Sozialismus aufzubauen, mußte jetzt Grußtransparente für den konservativen Bundespräsidenten malen lassen und die Tanzgruppe der Dorfschule zu einer folkloristischen Darbietung vergattern.

Der Berliner Soziologieprofessor Manfred Liebel erhofft sich von der mit dem Besuch der Präsidentengattin verbundenen Publicity für sein Straßenkinderprojekt die entscheidende Rückenstärkung für die Verhandlungen über die Legalisierung des besetzten Geländes. Dafür fand er sich sogar bereit, eine Fahne mit politischem Slogan abzumontieren.

Die Botschaft hat für den Besuch nicht etwa die Renommierprojekte der dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeitunterstellten Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) ausgewählt, sondern Projekte, die lange Zeit große Bedeutung für die Solidaritätsarbeit hatten. Das mit Berlin-Kreuzberg verschwisterte San Rafael del Sur, eines von 33 zu sandinistischer Zeit entstandenen Städtepartnerschaftsprojekten, liegt praktischerweise direkt auf dem Weg zum Konferenzzentrum am Strand von Montelimar, wo Herzog an einem Gipfeltreffen der zentralamerikanischen Staaten teilnimmt.

Zum Empfang des deutschen Staatsoberhauptes in San Rafael del Sur waren die örtlichen Würdenträger und die Schüler angetreten. Bürgermeister Juan Salgado, der dem Besucher die Schlüssel der Stadt überreichte, hatte sich in einen Anzug gequetscht und saß schwitzend neben den Deutschen, die angesichts der tropischen Temperaturen auf Sakko und Schlips verzichtet hatten. Als alter Aktivist der autonomen Szene von Baden-Württemberg, wo Roman Herzog 1980 bis 83 als Innenminister fungierte, hätte sich Projektleiter Franz Thoma nie träumen lassen, daß er dem damaligen Feind dereinst einen Willkommensgruß zuteil werden lassen würde. In der am Vorabend formulierten Ansprache verzichtete er sogar auf jede offene Polemik gegen die CDU, die die Städtepartnerschaft anfangs heftig bekämpft hatte. Herzog, obwohl er sich zeitweise im brasilianischen Rio Grande do Sul wähnte und am Schluß seiner Rede erst nach mehrmaligem Anlauf den richtigen Namen seines Gastgeberortes herausbrachte, wußte wohl um den politischen Hintergrund, den er mit dem Hinweis abtat, man müsse hier die Hilfe von Mensch zu Mensch sehen und merken, „was politische Ideologien auf allen Seiten der Welt für Unsinn sind“.

Wenn der Ursprung der Städtepartnerschaft auch nicht vergessen ist, so unterscheiden sich die Projekte insgesamt wenig von anderen, die offizielle Zuschüsse genießen. Das einst von deutschen Brigaden aufgebaute Freizeitzentrum wird jetzt vom ehemaligen Bürgermeister privatwirtschaftlich betrieben und funktioniert besser als vorher. Das revolutionäre Wandgemälde, auf dem von den Arbeitern und Bauern die Rede war, die bis zum bitteren Ende durchhalten, mußte nach der sandinistischen Wahlschlappe weißer Tünche weichen. Die auf moderner Photovoltaik basierende Notstromanlage, die das Gesundheitszentrum bei den häufigen Stromausfällen 70 Stunden lang mit Energie versorgen kann, ist in Nicaragua einzigartig; die Wasserleitung, für deren Bau die Bevölkerung unzählige Arbeitsstunden beisteuerte, versorgt 28.000 Menschen mit Trinkwasser und ist auch ökologisch unbedenklich.

Den einzigen peinlichen Zwischenfall konnte die Delegation gar nicht bemerken: Humberto Solis, der lokale Verantwortliche des Projekts, der Frau Herzog die solare Notstromanlage zeigen sollte, wurde von den Sicherheitsagenten gar nicht reingelassen, weil er keine Akkreditierung bekommen hatte. Und auch der Direktor des Gesundheitszentrums, Dr. Martin Almendares, mußte über den Zaun steigen, um an die vom Gesundheitsminister und sechs Ministergattinnen flankierte Primera Dama heranzukommen.

Kultur wurde schon am Vortag geboten. Nach einem Mittagessen mit Präsidentin Violeta Chamorro auf deren Privatinsel im Nicaraguasee begab sich der Bundespräsident nach Granada, die vom Eroberer Francisco Hernandez de Cordoba 1524 gegründete alte Hauptstadt. Obwohl sie einst vom Piraten Francis Drake geplündert und Mitte des 19. Jahrhunderts vom Söldnerführer William Walker niedergebrannt wurde, erstrahlt sie heute noch in kolonialer Pracht – nicht zuletzt dank der Renovierungsarbeiten, die mit der Instandsetzung des sogenannten Löwenhauses begannen. Der im spanischen Kolonialstil des 16. Jahrhunderts erbaute Adelssitz hatte im Jahre 1987 die Aufmerksamkeit des österreichischen Schauspielers Dietmar Schönherr auf sich gezogen. „Aus dem Haus muß man was machen“, erkannte er damals und erfuhr wenig später vom Kulturminister Ernesto Cardenal, daß das Gebäude gekauft werden könne. Es wurde die Idee eines internationalen Kulturzentrums geboren – das „Haus der drei Welten“. Namhafte Künstler aus Europa und Lateinamerika haben hier Ausstellungen und Workshops veranstaltet, einheimische Musiker, Maler und Keramiker werden ausgebildet. In einem Land, das in diesem Jahrhundert zwanzig Jahre von den USA besetzt war und wo seither Baseball für ein wichtiges Kulturgut gehalten wird, sollen Anstöße zur Wiederbelebung und Weiterentwicklung eines eigenständigen kulturellen Lebens gegeben werden.

Roman Herzog, der das Besuchsprogramm im Sturmschritt absolvierte, weil er zehn Minuten nach der protokollarisch vorgesehenen Zeit eintraf, wurde von Dietmar Schönherr und Ernesto Cardenal empfangen. Mit dem greisen Poeten wurde der Präsident nicht warm. Sei es, daß die Sprachbarriere keine vernünftige Verständigung aufkommen ließ, daß das Mitglied der evangelischen Kirchensynode die politischen Ansichten des Befreiungstheologen nicht goutierte oder daß er den in Jesuslatschen und ausgebeulten Jeans angetretenen ehemaligen Trappistenmönch zu doch leger fand. Erst im Gespräch mit ehemaligen Stipendiaten taute er auf, im Innenhof des Kulturzentrums, unter einem enormen Mangobaum, der auf Anweisung des Sicherheitspersonals vorher noch gründlich geschüttelt worden war, auf daß keine reife Frucht auf das herzögliche Haupt falle. Einer Abiturientin der deutschen Schule, die wissen wollte, mit welchem Motiv Deutschland ausländische Studenten mit Stipendien fördere, antwortete Herzog, man dürfe „die Globalisierung nicht den Ökonomen und Computerfritzen überlassen“. Als eine echte Diskussion aufzukommen begann, sah der Protokollchef warnend auf die Uhr. „Wenn's am schönsten wird, muß ich weg. Das passiert mir immer“, sagte der Staatschef und eilte zum Hubschrauber, der im Jockeyclub wartete, um ihn in die Hauptstadt zurückzubringen.

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