Ein Datenschützer wird Chefspion

Hansjörg Geiger soll den BND aus den Schlagzeilen holen. Rechtsstaatliche Normen werden beim Pullacher Geheimdienst einziehen, doch eine grundlegende Reform ist nicht in Sicht  ■ Von Wolfgang Gast

Dienstag ist Kanzlertag. Einmal in der Woche blickt das kollektive Bewußtsein der Pullacher Schlapphüte nach Bonn.

Im weit entfernten Kanzleramt werden an diesem Tag die zusammengeführten Analysen und Einschätzungen der rund 6.500 MitarbeiterInnen des Bundesnachrichtendienstes vorgetragen. Der Präsident des BND referiert dann die „Kanzlerlage“.

Der Dienstag ist aber auch ein Tag der Demütigung. Rund eine Milliarde Mark wendet die Bundesregierung alljährlich für ihren Auslandsnachrichtendienst auf – um seine Erkenntnisse mehr oder weniger zu ignorieren.

Der Kanzler nimmt seit langem an den wöchentlichen Lagebesprechungen nicht mehr teil. Helmut Kohl verhält sich wie sein Amtsvorgänger Helmut Schmidt: Er zieht die Lektüre der Financial Times und der Neuen Zürcher Zeitung dem Studium der BND-Berichte vor. Seit dem Fall der Mauer und der Auflösung der Ost-West- Konfrontation taumelt der BND von Krise zu Krise.

In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren seine Skandale. Zum Beispiel der inszenierte hochgefährliche Plutoniumschmuggel von Moskau nach München oder die im Hamburger Hafen zufällig aufgedeckte Absicht, als Landmaschinen getarnte Kriegswaffen dem israelischen Partnerdienst Mossad zukommen zu lassen.

Die Skandale sind aber eher der Ausdruck der tiefen Legitimationskrise, in der sich der BND seit dem Wegfall seiner klassischen Aufgaben befindet. Wie bei keinem anderen Nachrichtendienst war der BND-Blick fast ausschließlich gen Osten gerichtet. Seit dem Wegfall dieses Operationsgebietes ist die Debatte über die Arbeit plötzlich nicht mehr tabu, die Arbeit der Schlapphüte gilt mit einem Mal nicht mehr als unverzichtbar. Der BND steht in dem Ruf, Probleme zu schaffen, nicht sie zu lösen.

Einem einzelnen hat der Kanzler nun aufgebürdet, den Dienst aus der internen Krise und den Schlagzeilen herauszuführen. Die Wahl fiel auf den erst seit zehn Monaten amtierenden Kölner Verfassungsschutzchef Hansjörg Geiger. Verkündet wird die Entscheidung in der kommenden Woche, nachdem im Bundeskabinett Geigers Berufung offiziell beschlossene Sache ist.

Ein Liberaler soll den Weg aus der Krise zeigen

Hansjörg Geiger kommt vom Datenschutz. Der 53jährige machte sich einen Namen als Direktor der Berliner Gauck-Behörde. Ohne ihn gäbe es weder die Stasiakten- Behörde noch das Stasiunterlagengesetz. Er vereint in seiner Person das Unvereinbare, urteilte letzte Woche die Süddeutsche Zeitung: „Er ist Datenschützer und Verfassungsschützer, er ist Spitzenbeamter und Freigeist. Er genießt einen liberalen Ruf und steht totzdem hoch im Kurs beim Bundesinnenminister.“ Die Beschreibung stimmt, ergänzen sollte man noch das Urteil seiner früheren Mitarbeiter aus der Stasiaktenbehörde, die „sein stets gut vorbereitetes Auftreten“ als Geigers Erfolgsgeheimnis anführen. Der Mann argumentiert, sagen sie, er setzt sich nicht hierarchisch durch.

Zum Abschied aus Berlin schenkten ihm die früheren KollegInnen eine Statue: einen aufrecht stehenden Speer, auf ein festes Fundament gestellt. Nach oben verjüngt sich der Speer, er wird zunehmend fragil. Geiger hat die Statue in seinem Kölner Büro im siebten Stock der festungsartigen Anlage des Bundesamtes für Verfassungsschutz in einer Glasvitrine aufgestellt. Als eine ständige Mahnung, sagt er, daß die Luft „oben dünn“ sein kann. Und fragt ihn einer, wo er sich selbst verorten würde, dann deutet er mit dem Finger auf eine Stelle knapp unterhalb der Spitze des Stabes.

Mit Geiger kommt einer an die Spitze des Bundesnachrichtendienstes, der als Datenschützer die Geheimhaltung staatlicher Akten als „Akt des Mißtrauens gegenüber dem Bürger“ bezeichnet hat. Solches sei für „Obrigkeitsstaaten typisch“ – es gelte, statt eines „gläsernen Bürgers einen gläsernen Staat zu schaffen“. Wie sich das jedoch mit der Geheimhaltungshysterie in Pullach vertragen mag, bleibt abzuwarten.

An der Spitze des Verfassungsschutzes mußte Geiger bisher lediglich eine Niederlage einstecken. Geiger votierte für eine bundeseinheitliche Bewertung der PDS durch die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. Einer einheitlichen Beantwortung der Frage, ob die SED-Nachfolgerin verfassungsfeindliche Ziele verfolge, hätte der Verwaltungsjurist sogar die eigene Meinung untergeordnet. Er konnte sich nicht durchsetzen, zu unterschiedlich waren in den Bundesländern die politischen Interessen.

Hansjörg Geiger folgt dem glücklosen 61jährigen Konrad Porzner, der entnervt von der Plutonium-Affäre nach etwas mehr als einem Jahr das Handtuch warf und um Versetzung in den Ruhestand gebeten hatte. Porzner harrte nur deshalb an der Spitze des BND aus, weil ein Rückzug einem Schuldeingeständnis des Dienstes in der Plutoniumaffäre gleichgekommen wäre.

Doch Porzner wurde vom Bonner Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer systematisch demontiert. Erst rührte der Kanzlergetreue die Malaise um das Plutonium selber an. Dann desavoierte er – wegen der Schmuggelei selber schwer in der Kritik – den Pullacher Chef in Personalfragen. Schmidbauer untersagte Porzner etwa, notwendige Konsequenzen aus dem Fehlverhalten seiner Mitarbeiter zu ziehen. Der BND-Präsident gab schließlich auf.

Der Konflikt: Geiger gegen Schmidbauer

Nebenbei entledigte sich Schmidbauer damit eines ihm unbequemen Zeitgenossen. Zum Zerwürfnis zwischen Porzner und seinem Aufseher war es bereits im Oktober 1993 gekommen. Damals empfing Schmidbauer den iranischen Geheimdienstchef Fallahian. Der zum Treff geladene BND-Präsident meldete sich krank. Er wollte Schmidbauers Angebot an den Iraner, im Berliner Mykonos-Prozeß um die Ermordung iranischer Oppositionspolitiker eine politische Schadensbegrenzung zu arrangieren, nicht mittragen. Denn Fallahian steht im Verdacht, der Auftraggeber für die Morde in Berlin gewesen zu sein.

Schwer vorstellbar scheint, daß sich der liberale Hansjörg Geiger mit einem solchen Vorgehen arrangieren könnte. Und damit dürfte der erste Konflikt vorprogrammiert sein: BND-Chef Geiger gegen Geheimdienstkoordinator Schmidbauer.

Dann ist Dienstag im Kanzleramt auch Kampftag.