: Justizsenatorin verbreitet Eiseskälte
Richter und Anwälte sind mit Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) zunehmend unzufrieden. Sie erledige das Geschäft der Polizei und setze auf Populismus. Die Senatorin zeigt sich empört ■ Von Plutonia Plarre
Kein Berliner Justizsenator ist bisher so mit Lorbeeren überhäuft worden wie Lore Maria Peschel- Gutzeit. Selbst kritisch eingestellte Rechtsanwälte und ihre politischen Gegner zollten ihr lange Zeit Respekt. Doch der Lack bröckelt. Denn die vor zwei Jahren von Hamburg an die Spree gerufene Lore Maria Peschel-Gutzeit hat Einzigartiges vermocht: Sie hat nahezu die gesamte Richterschaft gegen sich aufgebracht. Der Hauptrichterrat, das höchste Vertretungsorgan der Richterschaft, gab unlängst eine Pressekonferenz – ein Novum in Berlins Justizgeschichte. „Wir von Berufs wegen sehr zurückhaltenden Richter fühlen uns von der Justizverwaltung so im Stich gelassen, daß wir uns zu diesem Schritt gezwungen sahen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Hauptrichterrats, Hans- Joachim Baars, eingangs.
Der Vorfall, der die Richter so auf die Barrikaden gebracht hat, liegt einige Wochen zurück, aber die Wogen der Entrüstung sind bis heute nicht geglättet. Hintergrund ist ein Fall vom 12. Mai: Die Polizei konnte einen Rumänen nicht in Abschiebehaft bringen, weil ein Bereitschaftsrichter im Abschiebeknast Grünau Dienstschluß gemacht hatte. Laut Polizei handelte es sich bei dem Mann um ein mutmaßliches Mitglied einer Einbrecherbande. Dies vermochten die Beamten ihm aber nicht in der gebotenen Frist nachzuweisen und versuchten deshalb mit einem Trick am Rande der Legalität, gegen den Rumänen einen Abschiebehaftbefehl zu erwirken. In der Zwischenzeit wollten sie Beweise gegen ihn sammeln. Weil der Richter in Grünau jedoch Feierabend gemacht hatte, konnten sie den Rumänen nicht festhalten.
Polizei, Staatsanwaltschaft, CDU und die Medien vom Tagesspiegel bis zur Bild-Zeitung schäumten. Alle waren sich darin einig, daß der Richter für die Freilassung eines Schwerstkriminellen verantwortlich sei. Als dann noch Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Fätkinheuer im Tagesspiegel forderte, der Richter „gehört vom Markt genommen“, platzte den Richtern der Kragen. Am meisten an dem Vorfall habe sie das Verhalten von Justizsenatorin Peschel- Gutzeit „bestürzt“, erklärte der Vorstand des Hauptrichterrats: „Weder die Senatorin noch ihr Staatssekretär haben sich bemüht, den Sachverhalt richtig darzustellen und den zu Unrecht angegriffenen Richter in Schutz zu nehmen, wie es ihre Fürsorgepflicht gewesen wäre.“
Die Chronologie der Ereignisse: Peschel-Gutzeit hatte mit zwei kurz aufeinanderfolgenden Presseerklärungen auf den Vorfall reagiert. In diesen fand sich kein einziges Wort zu dem Versuch der Polizei, die Abschiebehaft als Untersuchungshaft zu mißbrauchen. Statt dessen nahm sie den Fall des Rumänen zum Anlaß, eine Verlängerung der Dienstzeiten der Bereitschaftsrichter von täglich 9 bis 24 Uhr anzukündigen. Gleichzeitig forderte sie die Richter auf, „dafür Sorge tragen, daß sich derartige Vorfälle nicht wiederholen“. Die Änderung des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz hat das Abgeordnetenhaus in einem Eilverfahren beschlossen. In Richterkreisen wird nun erwogen, das Gesetz vom Landesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.
Genau anderthalb Wochen nach dem Vorfall äußerte Peschel- Gutzeit erstmals öffentlich verhaltene Kritik an dem Vorgehen der Polizei, doch da waren die Richter schon längst auf den Barrikaden. Die einzige, die den Sachverhalt von Anfang an richtig dargestellt habe, sei Justizsprecherin Susanne Pfefferkorn gewesen, hieß es auf der Pressekonferenz des Hauptrichterrats. Bemerkenswert ist, daß Pfefferkorn eine Woche nach dem Eklat über den Bereitschaftsrichter den Posten als Pressesprecherin aufgegeben hat und als Richterin ans Landgericht zurückgekehrt ist.
Peschel-Gutzeit betonte, es gebe keinerlei Zusammenhang zwischen dem Abgang der Justizsprecherin und ihrer Erklärung zu dem Bereitschaftsrichter. Auf die Frage, ob sie die massive Kritik der Richter beeindrucke, erwiderte die Justizsenatorin kühl, sie weise jegliche Kritik von sich. Die Gesetzesänderung habe auch bei Richterseite Zustimmung gefunden, erklärte sie. „Niemand hat der Polizei das Wort geredet, das ist eine rein tendenziöse Darstellung der Grünen.“ Die Freilassung des Rumänen habe sich in ihrem Umzugsurlaub ereignet, „der Staatssekretär hat mich in dieser Zeit zum Teil vertreten“.
Daß sie selbstherrlich auftritt und kritischen Argumenten kaum zugänglich ist, wird Lore Maria Peschel-Gutzeit schon länger bescheinigt. „Wenn ihr etwas vorgeworfen wird, dann Mangel an Souveränität“, schrieb die Süddeutsche Zeitung im vergangenen Oktober. Gegenüber denjenigen, die in der Justizpolitik eine andere Meinung vertreten, könne sie „gnadenlos“ sein, sagte eine Verwaltungsrichterin, und ein Staatsanwalt meinte gegenüber der Zeitung sogar, die strenge Preußin zeige gelegentlich „herrische“ Allüren.
Sogar Journalisten nimmt sich die Senatorin gelegentlich zur Brust, wenn sie Kritik zu äußern gewagt hatten. Die B.Z. hatte ihr nach 100 Tagen im Amt die Note 5 erteilt: „Es gab zwar lange keinen Knastausbruch, aber außer dem alten Thema Korruption fällt ihr nichts mehr ein.“ Prompt rief Peschel-Gutzeit in der Redaktion an. „Sie hat sich über den Artikel fürchterlich aufgeregt“, hieß es aus dem Hause Springer.
Mit Rechtsanwälten springt die Senatorin ähnlich um. Dem Vorsitzenden der Anwaltskammer, Bernhard Dombek, und dem Notar und Richter am Verfassungsgericht, Klaus Eschen (SPD), schrieb sie beleidigt Briefe. Beide hatten in der taz kritisch Stellung dazu bezogen, daß die Senatorin nach den Eierwürfen auf den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen im Gericht eine Verschärfung der Kontrollordnung für Anwälte durchsetzte. Außerdem plant Peschel-Gutzeit, daß Diepgen künftig nicht mehr im Gericht, sondern in seinem Büro als Zeuge vernommen werden kann. Eschen hatte in der taz dazu in einer Glosse festgestellt, „jetzt werden endlich mal Reformbestrebungen umgesetzt, auf die die Rechtspflege schon so lange wartet“. Die Senatorin antwortete ihm moralinsauer: Gerade er als Verfassungsrichter müsse doch unterstützen, wenn die Justiz alles Erforderliche tut, damit Minister und Abgeordnete keinen Schaden nehmen oder der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Dazu Eschen: „Ich habe sie als Persönlichkeit überschätzt und für souveräner im Umgang mit Ironie gehalten.“
Dem Präsidium des Amtsgerichts versuchte die Senatorin unlängst vergebens die Ausweitung der Schnellgerichtsverfahren schmackhaft zu machen. Bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr und dem Vorliegen eines Geständnisses können Taschendiebe und ähnliche Kleinkriminelle sofort vor den Kadi gestellt und rechtskräftig verurteilt werden. Peschel-Gutzeit glaubt, durch mehr solcher Verfahren die übrige Justiz entlasten zu können. Viele Richter halten diesen Schritt dagegen für überflüssig und treten für mehr Strafbefehle ein. Schon jetzt würden 40.000 Strafbefehle im Jahr erlassen, 90 Prozent davon rechtskräftig. Außerdem stünden die auf frischer Tat Ertappten in den Schnellverfahren meist unter Schock und seien in ihrer Verteidigungsfähigkeit behindert. All dies teilten sie der Senatorin auf der Präsidiumssitzung mit. „Die Atmosphäre wurde eisiger und eisiger. Zum Schluß ist sie grußlos hinausgerauscht“, erfuhr die taz. Dazu Peschel-Gutzeit empört: „Das war eine nichtöffentliche Sitzung. Ich gehe niemals grußlos weg und habe vorher schon angekündigt, daß ich die Sitzung früher verlassen muß und der Staatssekretär übernehmen wird“.
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