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Oh, wie schön ist Sansibar

Tal der Tränen: Culture Musical Club, das führende Taraab-Ensemble aus Tansania, beendet den letzten „Heimatklänge“-Sommer im Tempodrom  ■ Von Daniel Bax

Zum Abschluß des neunten Heimatklänge-Sommers ertönt melodramatische Filmmusik – wie das wohl gemeint ist? Das rund 20köpfige Taraab-Ensemble jedenfalls drückt kräftig auf die Tränendrüse. Schluchzende Geigen, wehmütiger Gesang und opulente Melodien, die deutlich beeinflußt sind von den Soundtrackprodukten der Filmfabriken von Bombay bis Kairo, aber auch von ostafrikanischer Rhythmik. Ein Traum: Oh, wie schön ist Sansibar.

Zu schön, um wahr zu sein, denn in der tansanischen Heimat hat der latente Konflikt zwischen der muslimischen Insel und dem mehrheitlich christlich geprägten Festland die Nation in der Vergangenheit schon einmal an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht.

Zwischen Mombasa, Sansibar und Daressalam hat sich eine eigenständige muslimische Musikkultur entwickelt, die Taraab heißt und, für heutige Verhältnisse, einen ziemlich nostalgischen Charakter hat. Der Taraab erinnert an die arabischen Radiostars der zwanziger Jahre wie Um Kalthum oder Abdel Wahhab, aber auch an indische Schlager und die kubanischen Tanzcombos, die in jener Zeit in Ostafrika wie im Orient sehr populär waren. Das Wort, eine Ableitung vom arabischen „tariba“, bedeutet soviel wie „bewegt sein“ oder „gerührt werden“. Genau das soll diese Musik auch: den Hörer sanft ins tiefe Tal der Tränen tragen.

Der Culture Musical-Club, als führendes Taraab-Ensemble der Gewürzinsel im Indischen Ozean, ist so etwas wie die Hausband des tansanischen Kulturministeriums und zum ersten Mal in Europa unterwegs. Kulturbotschafter auf Reisen: Wie bei einem klassischen Konzert sitzen die befrackten Musiker ziemlich steif auf ihren Stühlen, in der ersten Reihe die Streicher, dahinter die Percussionisten, während sich am Mikrofon die SängerInnen abwechseln. Ein eher kontemplativer Hörgenuß.

Zur Einführung stellte der gutgelaunte Conferencier im strahlend weißen Anzug, in flüssigem Wechsel zwischen Swahili, Englisch, Arabisch und ein paar Brocken Deutsch, die einzelnen Stücke vor: Aufschlußreich, denn die eskapistische Liebes- und Leidenschaftslyrik passt so gar nicht zur formalistischen Darbietung des Ensembles. Bewegend ist der Inhalt, nicht die Form, was Tanzgewohnte Tempodrom-Fans sichtlich in Verwirrung stürzt.

Nach der Pause wurde der strenge Rahmen, für einen kleinen Moment nur, aufgehoben. Da gehörte die Bühne den Frauen, die zum hüpfenden Kidumbak-Beat mit energischem Hüftschwung kurzzeitig Bauchtanzstimmung aufkommen lassen. Doch schon wenig später ist wieder Schluß mit lustig, die Männer geben wieder den Moll-Ton an, während die Frauen in den Hintergrund treten und in sittsamen Kostümen elegische Weisen anstimmen.

Das ist eigentlich der ideale Background für imaginäre Arabesk-Szenarien, wie man sie aus türkischen, arabischen und indischen Schmachtfetzen kennt. Bei weiteren Konzerten des Ensembles sollte man daher vielleicht Ausschnitte auf die Zeltwand projizieren, um dem Publikum das Eintauchen in diese exaltierte Gefühlswelt zu erleichtern und etwas Bewegung in die doch recht statische Darbietung zu bringen.

Bis 18. 8., jeweils ab 21.30 Uhr (Sonntag 16 Uhr) im Tempodrom, In den Zelten

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