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Der Puppenspieler

Mit seinem neuesten Roman „Sabbaths Theater“ findet Philip Roth zurück zu „Portnoys Beschwerden“, seinem spektakulärsten Erfolg  ■ Von Frank Lucht

„Mag sein, daß ich nie wieder etwas schreibe.“ So erschreckte Philip Roth in einem seiner seltenen Interviews vor fünf Jahren nicht nur den damaligen Zeit-Redakteur und Roth-Bewunderer Volker Hage, sondern auch all die übrigen Roth-Leser, Roth-Cheerleaders, Roth-Liebhaber, Roth-Süchtigen. Das war kein Wunder. Wer sich so virtuos auf den Wechsel der Töne versteht, wenn es darum geht, Autobiographie und Fiktion füreinander arbeiten zu lassen und gegeneinander auszuspielen, der schafft natürlich ein ausgesprochen symbiotisches Verhältnis zwischen sich, seinen Geschichten und seinen Lesern. Mit „Gegenleben“ jedoch schien das Spiel mit den wahren Lügen ausgereizt; „[...] die Fiktion und der Mensch sind ein und dasselbe!“, heißt es darin einmal. Wie also weiter?

Roth begann eine Autobiographie in vier Teilen, von der er hoffte, sie würde „sonderbar“ ausfallen. Sie beschrieb sein Leben als Schriftsteller („Tatsachen“, dt. 1991), sein Leben als Sohn (dt. 1992), sein Leben als Liebhaber („Täuschung“, dt. 1993), und sie beschrieb zuletzt und atemberaubend sein Leben als Doppelgänger der eigenen, nicht nur fiktional ausgebeuteten Person („Operation Shylock“, dt. 1994). Roth wußte aufgrund von Nebenwirkungen eines Medikaments zeitweise tatsächlich nicht mehr, ob er der war, für den er sich hielt. Der wissende Leser reagierte um so begeisterter und gerührter (symbiotisch eben) auf das, was Roth mit seiner depressiven Ich-Störung alles anfing, eine komödiantische Geheimdienstnummer nämlich, einen Thriller, der sich zwischen zwei Personen abspielt, einem Mann, der weiß, daß er Philip Roth ist, und einem, der dasselbe von sich behauptet. Diese vier Bände hatten nicht nur zur Folge, daß das Werk von Roth mit einem immensen Schub verdichtet wurde, so daß Roth-Leser ihre Lektüre im Grunde wiederholen konnten, angefangen bei „Portnoys Beschwerden“, der sexbesessenen Beichte eines Neurotikers auf der Psychocouch von Dr. Spielvogel. Jetzt fiel auch die Bemerkung über das mögliche Ende von Roths Schriftstellerei.

Dem zum Trotz liegt jetzt „Sabbaths Theater“ vor. Der Roman trug dem Autor den „National Book Award“ ein, den er schon einmal, 1962, verliehen bekam für „Goodbye, Columbus“, Geschichten, die in den fünfziger Jahren handeln und in denen die Sonne der Jugend und der Schwermut des Geistes so sommerlich melancholische Sätze erzeugen wie „[...] wir stiegen aus dem Wasser und waren zu glücklich miteinander, um zu lächeln.“ – „[...] aber der Augusthimmel über mir war so schön und so vergänglich, daß ich es kaum ertragen konnte.“

„Sabbaths Theater“ findet zurück zu Roths spektakulärstem Erfolg, zu „Portnoys Beschwerden“, zum Konflikt zwischen hohen ethischen Zielen und extremen sexuellen Neigungen, zur blasphemischen Wahrheitssuche. Mit dem Unterschied, daß Portnoy leben wollte, Sabbath hingegen des Lebens überdrüssig ist. Das Motto stammt aus Shakespeares „Sturm“: „Mein dritter Gedanke soll das Grab sein.“

Der ehemalige Puppenspieler Morris „Mickey“ Sabbath ist 64. Lebenslang sexbesessen, im Alter geistig zunehmend verwahrlost, ein einsamer Schweinepriester, der seine Leidenschaften nicht wie ein Bonvivant lebt, sondern mit feierlichem, rücksichtslosem Ernst, als sei er ein später Anhänger jenes falschen Messias Sabbatai Zwi, der einst die Erlösung durch die Sünde predigte. Seine Hände plagt Arthritis, sein 29er-Jahrgangs-Penis kämpft mit der Prostata, und während er jeder einzelnen verpaßten oder gehabten Sexgelegenheit hinterhertrauert und auf dem frischen Grab seiner geliebtesten Geliebten bei einem Kaddisch an die tote Mutter mit geradezu religiöser Inbrunst wichst, hat er nur noch den einen Wunsch, der größer ist, als sich das Leben zu nehmen: getötet zu werden, der gerechten Strafe zugeführt zu werden. So sehr Sabbath seine Tötung auch provoziert, sie bleibt ihm verwehrt. „Er konnte einfach nicht sterben.“

Und so erinnert uns der Puppenspieler Sabbath auch an jenen Ahasver, den Gott durch die Zeiten jagt und ihm die lang erwartete Strafe zu sterben vorenthält, um ihn in die Qualen der Erinnerung zu tauchen. Erinnerung an Nikki, seine erste Frau, die unter merkwürdigen Umständen spurlos verschwand und einen Schatten des Verdachts auf Sabbath wirft; an Drenka, die nymphomane 50jährige Kroatin mit der Boxernase, die an Krebs gestorben ist; an Roseanna, seine trinkende Frau, die ihm den Schwanz abschneiden wollte; die Affäre mit der Studentin Kathy während seiner Dozententätigkeit an einem „liberalen Kunstcollege“, die zum Skandal gerät, als der Mitschnitt eines obszönen Telefonats gefunden wird, „und das fünfundzwanzig Jahre nach Pauline Reage, fünfundzwanzig Jahre nach Henry Miller, sechzig Jahre nach D. H. Lawrence, achtzig Jahre nach James Joyce, 200 Jahre nach John Cleland“.

Das ist anders, verzweifelter, monströser, als man es noch im „Professor der Begierde“ las. Was bleibt, ist Trauer. „Nichts war mehr nur noch es selbst“, lesen wir, „alles erinnerte ihn an etwas längst Vergangenes oder an etwas gerade Entschwindendes.“

Hier lesen wir einen anderen Roth als den, der mit seinem Alter ego spielt. „Sabbaths Theater“ ist versteckter auch ein Testament der Entweihung, die Schändung eines schändlichen Jahrhunderts. „Und er konnte nicht. Er konnte einfach nicht sterben. Wie konnte er gehen? Wie konnte er verschwinden? Alles, was er haßte, war hier.“

Philip Roth: „Sabbaths Theater“. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Hanser Verlag, München 1996, 496 Seiten, 49,80 DM

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