piwik no script img

■ Mögliche OrteCharmant, charmant: der Hermannplatz

Manche Orte sucht man freiwillig auf, einfach um eine gute Zeit zu haben. Manche gibt es, ohne daß man jemals mit ihnen in Berührung kommt. Andere wieder sind unausweichlich, es führt kein Weg an ihnen vorbei. Wie in meinem Fall der Hermannplatz.

Der Hermannplatz ist ein Unort, ein bloßer Verkehrsknotenpunkt; ein Platz, an dem Stillstand nicht zählt, an dem Innehalten und Einkehr nicht ratsam erscheinen. Zu besichtigen gibt es vordergründig nichts; Geschichte wurde hier, wenn überhaupt, durch Karstadt gemacht — es heißt, ohne Karstadt gäbe es gar keinen Hermannplatz. Wichtig für die anliegenden Kieze allerdings ist er nicht nur als verkehrstechnische Passierstelle. Außer Karstadt gibt es zahlreiche Geschäfte, Banken und Kneipen, einen überaus charmanten Markt und zahlreiche Würstchenbuden. In einer wurde früher eine klasse sogenannte „Krautwurst“ für gerad' mal eine Mark angeboten — unvergeßlich. Danach hat man immer furchtbar aufgestoßen.

Zuerst jedoch spielt der Verkehr hier die Musik. Da diese nicht besonders gut klingt, erfreut man sich über die immer gleichen Erfahrungen und Überlebensstrategien, die man sich im Lauf der Zeit angeeignet hat. Jede zu passierende Ampel ist ein Erlebnis, sei es nun für Fußgänger, Auto- oder Radfahrer. Ein nie zu lösendes Rätsel ist zum Beispiel die Ampelschaltung, die den Strom der Fußgänger von der Sonnenallee zur Urbanstraße leitet, zwischen der Apotheke auf der einen und Karstadt auf der anderen Seite. In einem Zug ist es praktisch nie möglich, hier den Platz zu überqueren, der zweite Teil ist nur unter größtmöglichem läuferischem Einsatz zu schaffen, unter akuter Gefährdung von Leib und Leben. Rot ist rot heißt das hier für die ordnungsliebenden, weit nach rechts in den Fußgängerbereich einschwenkenden Autofahrer, und die sehen hier rot bei Nichtbeachtung dieser Regel.

Ein eindrucksvolles Erlebnis ist auch, es autofahrenderweise nicht geschafft zu haben, nach links abzubiegen: Dann steht man mittendrin; ein Entkommen gibt es nicht, Feinde hat man soviel wie nie zuvor in seinem Leben: vogelzeigend, mit Stinkefinger, die Wumme anscheinend griffbereit auf dem Beifahrersitz. Und als Radfahrer: Am liebsten Augen zu und durch. Trotzdem: Am klügsten ist es natürlich, abzusteigen und den Fußgängern zu folgen. Ansonsten ist Slalomfahren angesagt. Siegt oben Schläue, verhält es sich unten im U-Bahnhof nicht anders: Steige nie zwischen drei und sechs hier ein oder aus, und wenn, benutze nie die zentrale Treppe, sondern halte dich an die Ein- und Ausgänge Hasenheide und Karl-Marx-Straße; bleibe immer locker und ruhig, und seien die Treppen noch so schmal und die Entgegenkommenden noch so viele.

Das ist das eine, oft nimmt man es nur noch schemenhaft wahr. Das andere sind die Begegnungen, die sich nolens volens einstellen, sind die Leute, die sich den Hermannplatz (nicht immer freiwillig) als Arbeitsplatz auserkoren haben.

Mit einer Bekannten, die für den SFB Fernsehporträts über Prominente und ihr Haustier dreht, habe ich mittlerweile eine richtige Hermannplatzbeziehung. Zeit für einen Schwatz nehmen wir uns immer. Dann erzählt sie von den Promis, von nächtlichen Drehs, von Kinderfilmchen und stellt die obligate Frage nach meinem Freund, dem Zahnarzt. Manchmal essen wir auch ein Eis beim Italiener an der Sonnenallee — der eingerahmt wird von zwei Woll- und Strickgeschäften (!) — und erfreuen uns an der sich blendend einfügenden Bunker-Architektur des Best-Western-Hotels, dem neuesten Haus hier an der Ecke.

Auf dem Platz selbst sorgt die mormonische Gemeinde oft für Lichtblicke. Tadellos gekleidet, mit einem Lächeln im Gesicht und der unvermeidlichen Frage auf den Lippen: „Sind sie glücklich?“ Böse werden sie selbst dann nicht, wenn man ihnen mit den gleichen Worten rasch zuvorkommt.

Gänzlich ungerührt vom Verkehrstreiben ist auch die imposante Marktfrau am Obst- und Gemüsestand, deren „lecker Erdbeeren, lecker Wein hier“ einige Zeit im Ohr nachhallt. Ebensowenig beeindruckt sind die Zecher, Penner und Zigarettenverkäufer, die sich gern auf den Bänken und den winzigen Rasenflächen (tatsächlich, die gibt's!) niederlassen, manchmal hier gar ein Schläfchen halten.

Bei den meisten Figuren, die hier verweilen, hat sich mit den Jahren ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt — erwähnt seien noch die stoischen Zeugen Jehovas mit ihren Wachtürmen, das Pärchen, das an einer Bushaltestelle versucht, Geldbörsen zu verkaufen, der Professor Franz Schwanz. Es gibt jedoch auch ein paar Menschen, deren Standort und Tätigkeit mich immer wieder verwundern und denen ich die größte Wertschätzung entgegenbringe, vor allem aber Mitleid: Das sind die Angestellten der Firma Schmidt, die in dem zugigen Durchgang vom U-Bahnhof zum Geschäftsbereich von Karstadt ihrer Tätigkeit nachkommen, nämlich der Planung und Beratung bei Küchen- und Türrenovierungen. Gesehen habe ich da noch nie jemand. Ein Gespräch würde bestimmt manche Qual lindern, und wenn die Zeit nicht reicht, tut's vielleicht auch die Mark, die sonst für die meist danebensitzenden Punker abfällt. Gerrit Bartels

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen