piwik no script img

Regisseure inszenieren die Stadt

taz-Serie „Das Verschwinden des öffentlichen Raums“ (Teil 9): Die Krise des Stadtraums liegt im Verschwinden des gemeinsamen politischen Willens. Statt dessen beherrschen Szene-Impresarios die Stadt  ■ Von Werner Sewing

Als zu Beginn des letzten Sommersemesters Berliner Studenten sich Straßen, Plätze und U-Bahnstationen für ihre Aktionen gegen die Hochschulmalaise aneigneten, wurde gleichsam im Nebeneffekt ein Experiment in Sachen Urbanität und Öffentlichkeit durchgeführt. Das Ergebnis: Öffentlicher Raum existiert, man muß ihn nur herstellen. Sicher, das Lamento über die Privatisierung, Kommerzialisierung und Säuberung öffentlicher Räume ist begründet. Dennoch zeigt etwa das Scheitern der amerikanischen Mall hierzulande (taz-Serie, Teil 3), daß Gebautes soziales Handeln nicht erzwingen kann. Die städtebauliche Auszehrung der urbanen Substanz scheint nicht die Wurzel des Übels zu sein.

Was ist überhaupt das Übel? Warum gilt der öffentliche Raum als Krankheitsfall, als sterbendes Soziotop, wo doch die Kaffeehaustische nicht nur auf den Straßen von Charlottenburg, sondern selbst in Chemnitz immer mehr und voller werden. Selbst aus Ostwestfalen berichten Ethnologen von einem Boom der Biergärten. Der Massenandrang auf der „Schaustelle“ oder den unzähligen Altstadtfesten in der Provinz scheint dennoch weniger gelungene Öffentlichkeit, als vielmehr deren Phantomschmerz zu sein.

Die Differenz etwa zu den erwähnten Studentenaktionen oder der frühen – nur der frühen – Hausbesetzerbewegung, aber auch den Tagen nach dem Mauerfall ist offenkundig: In der Selbsttätigkeit der Bürger als scheinbarem Ausnahmezustand scheint die Ahnung eines allgemeinen Zusammenhangs auf, der früher mal Res publica, die öffentliche, alle angehende Sache genannt wurde.

Auf der verrummelten Fußgängerzone hingegen oder der, dank Gerhard Merz, zum Kunstwerk geadelten Mercedes-Baustelle (Markenname: Potsdamer Platz) treffen sich Privatleute, Konsumenten, Gelangweilte auf der Suche nach Unterhaltung. Der öffentliche Raum ist eine Bühne, auf der die Bürger, offensichtlich durchaus lustvoll, Statisten in ihrer eigenen Stadt sind. Die Regisseure heißen wahlweise: Berliner Festspiele, Werbeagentur XY, Partner für Berlin, Fremdenverkehrsamt Düsseldorf und so weiter. Ein Sonderfall ist einzig Christo, dem mit der Reichstagsverhüllung, bewußt unwiederholbar die Beschwörung echter Öffentlichkeit als fast sakrale Inszenierung gelang.

Stadtdiagnostiker haben den Festivalisierungsschub seit den achtziger Jahren als Enteignungs- und Verwertungsprozeß im Sog der Globalisierung der Standortkonkurrenz gedeutet, dem die Bürger in sozialen Kämpfen Widerstand leisten würden. Wo es diesen gegeben hat, war er nicht sonderlich erfolgreich. So existierte in Atlanta noch in den achtziger Jahren eine starke Neighborhood-Bewegung, die ausgerechnet von dem von ihr unterstützten Bürgermeister Andrew Young und der Wirtschaftselite der Stadt entmachtet wurde. Das Ergebnis konnte unlängst mit der Coca-Cola-Olympiade bewundert werden.

Das Scheitern der Bewegungen von unten, nicht nur in Atlanta, verweist vordergründig auf die Stärke wirtschaftlicher Interessen. Nur: Deren Stärke ist auch durch die Schwäche der städtischen Gesellschaft selbst erst möglich. Öffentlichkeit bedeutete ursprünglich die Fähigkeit, den gemeinsamen Willen der Civitas herzustellen und durchzusetzen. Das Verschwinden dieses Politischen, der Idee von Stadt als politischem Gemeinwesen (Polis), ist die eigentliche Krise des öffentlichen Raums. Paradoxerweise ist es nicht das Verschwinden der städtischen Pluralität von Lebensweisen, sondern gerade deren Zunahme, die diese Krise befördert. Die Stadt zerfällt in Milieus, Lebensstile, Szenen, Klüngel: Künstler verteidigen das Tacheles, Laubenpieper die Kleingärten, die Bürger von Steglitz und Spandau wollen zwar nicht Kaiser Wilhelm, aber zumindest das Schloß und das Adlon wiederhaben, manche Architekten wollen den neuen Alexanderplatz, andere die einstige Schinkelsche Bauakademie, die Kreuzberger Szene will ihre Ruhe, die Bewohner von Prenzlauer Berg weniger Touristen und die SM-Szene ist glücklich, wenn sie ihre Keller behält.

Aus der subkulturellen Vielfalt privater Interessen und Leidenschaften, um deren Willen wir uns ja aus Sindelfingen oder Egensburg oder N. Y. geflüchtet sind, entsteht kein Allgemeines, auch nichts, was „vor aller Augen“ im öffentlichen Raum inszenierbar wäre. Die luxurierende Nischengesellschaft der Großstadt ist politisch blind und fast nur noch zum Lobbyismus fähig.

Das so entstandene öffentliche Vakuum wird statt dessen besetzt von Profis der Inszenierung: Architekten und/oder Investoren definieren die Hardware des gebauten öffentlichen Raums. Kulturmanager bedienen die Software. Politiker und Stadtmanager sorgen je nach Klientel – mehr schlecht als recht – für die Vernetzung der Lobbys, die Durchsetzung organisierter Interessen und die Außendarstellung der Corporate Identity: Stadtmarketing nach innen wie nach außen. Da ist es nur konsequent, daß die „Partner für Berlin“ mittlerweile von einem PR- Mann geleitet werden, den man bis vor kurzem noch für einen Politiker, sogar für einen Senator halten konnte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen