: Das Preisniveau fällt Richtung Ural
■ Arbeitgebern brachte ihr Taktieren in Sachen Mindestlohn sehr viel Geld. Vor allem die fünf deutschen Bauriesen werden sich bedanken - und können risikolos beim Bauboom mitmischen Von Frank Hofmann
Arbeitgebern brachte ihr Taktieren in Sachen Mindestlohn sehr viel Geld. Vor allem die fünf deutschen
Bauriesen werden sich bedanken – und können risikolos beim Bauboom mitmischen Von Frank Hofmann
Das Preisniveau fällt Richtung Ural
Die Herren im Präsidium der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) waren's zufrieden, als sie Anfang der Woche ihre Aktenkoffer nach getaner Arbeit wieder schlossen. Acht Monate lang hatten sie die Einführung des im Februar vom Bundestag beschlossenen Entsendegesetzes für Bauarbeiter aus EU-Ländern verzögert. Nun ließen sie bekanntgeben, auf den Kompromißvorschlag von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (siehe nebenstehenden Kasten) eingehen zu wollen.
Ein voller Erfolg: Mit jedem Tag Verzögerung schützten die Verbandsbosse die Bilanzen der großen deutschen Baukonzerne, die sich durch den Bauboom in Berlin und im Osten geknebelt fühlen – durch mörderische Bauzeitklauseln und dünne Finanzierungen. Die Kalkulationen der neuen Betonburgen im Osten Deutschlands haben keine Puffer. Ob ein Bau sich rechnet oder zur Pleiteruine wird, entscheiden Kommabeträge. „Bei uns“, sagt ein Berliner Mitarbeiter des Stuttgarter Baukonzerns Züblin, „werden die Aufträge angenommen, wenn sie gerade mal die Fixkosten decken.“
Die Firma sichert mit ihren ostdeutschen Bauprojekten zumindest ihre Arbeitsplätze in der Stuttgarter Verwaltung. Verdient wird das Geld im Ausland. Bei deutschen Baustellen übernehmen die Branchenriesen nur noch Planungs- und Konstruktionsaufgaben: Anders ist ein Baupreis von 150 Millionen Mark wie bei dem 20-Etagen-Gebäude am Spittelmarkt im Berliner Stadtbezirk Mitte, das Züblin derzeit hochzieht, nicht zu erreichen.
Die BDA operierte dabei gegen die mittelständische Bauwirtschaft, die sich – gebunden an die hiesigen Tarifverträge – mit dem Mindestlohn gegen die Dumpingpreise der EU-Kräfte wehren will.
Die „Großen“ hingegen sind angewiesen auf die billigen ausländischen Subunternehmer: Allein auf der Züblin-Baustelle leben 100 Baufachkräfte aus Portugal in Containern. Die Arbeitskräfte sind von der portugiesischen Tochterfirma der Schwaben angeheuert, Material und Maschinen stellt der deutsche Baubetrieb.
Das Risiko wird so von oben nach unten abgewälzt: Während sich die Kapitalinvestoren den Tag der Schlüsselübergabe per Vertrag von den Baufirmen zusichern lassen, geben die das Problem an ihre Partner weiter, die die working force liefern. Die Vertragsstrafen würden schmerzen: 150.000 Mark muß allein Züblin dem Berliner Investor für jeden Tag bezahlen, der über das vertraglich fixierte Datum hinausgeht. Das Schema wiederholt sich: Die Arbeitskraft in der Grube ist ein zu drückender Kalkulationsposten. Durchschnittlich zwölf Stunden arbeiten die Wanderarbeiter aus Süd- und Westeuropa täglich, der Sonnabend zählt als ein normaler Arbeitstag.
Und wenn der eine Subunternehmer nicht spurt, kommt der nächste zum Zuge: Die Konkurrenz schläft nicht. Arbeitskraftlieferanten aus Italien und Portugal haben Tausende von Namen in ihren Karteien gespeichert. Bei Bedarf werden Fachkräfte aus Sizilien zusammentelefoniert und ad hoc ins 1.300 Kilometer entfernte Berlin gekarrt.
Die Kalkulation diktiert den „Lebenskomfort“. Während manche Suberunternehmer ihre Leute in Containern auf den Baustellen unterbringen, favorisieren andere Großunterkünfte. Wie das Leben der italienischen, portugiesischen, der britischen und irischen Arbeiter in Berlin, seinem Speckgürtel oder den sächsischen Boomtowns aussieht, entscheiden bei den Bauriesen die Controller. Am billigsten sind Container auf der eigenen Baustelle, zusätzlich angemietete Fläche kommt teurer.
Die gesamte Bauszene ist unterdessen gespalten: Während sich die global player der deutschen Bauindustrie aus Angst vor Verzögerungen bei ihren High-Tech- Klötzen von ihren Subunternehmen vertraglich zusichern lassen, daß diese keine Schwarzarbeiter beschäftigen, sind die Arbeitsämter völlig überfordert, die kleineren Projekte zu kontrollieren. Dem Beschiß stehen alle Türen offen: „Es gibt allein in Berlin Hunderte von Typen, die von ihrem Wohnzimmer aus Arbeitskräfte verschieben“, sagt der 25jährige Mujo aus Bosnien, der sich mit Baujobs über Wasser hält.
Den Kolonnenschiebern steht ganz Osteuropa als Rekrutierungsfeld zur Verfügung: Exjugoslawen gibt's für 15 Mark die Stunde, Polen kosten 10 Mark, und der große Rest verkauft sich noch billiger. Das Preisniveau fällt in Richtung Ural. Vor zwei Jahren ließen sich aus lauter Verzweiflung auch Polen noch für einen Heiermann die Stunde ausbeuten, heute machen das nur noch die Arbeiter aus dem Baltikum. Besonders gefragt sind momentan Weißrussen – es heißt, daß die sich schon mit einer Mark Stundenlohn begnügen.
Der Verdrängungskampf fordert mittlerweile Opfer wie selten zuvor: Fünfmal schon mußte Paolo Fialo, italienischer Generalkonsul in Berlin, dieses Jahr für seine Landsleute intervenieren, weil diese von ihren Subunternehmen geprellt worden waren. Kleinere Fälle gehören für ihn zur Routine: „In der Regel kommen zwei, drei, vier einzelne Arbeiter jede Woche vorbei“, sagt Fialo.
Im Juli hatten 80 italienische Facharbeiter eine Baustelle im Berliner Bezirk Friedrichshain besetzt. Ihr Chef war nach Kalabrien getürmt, nachdem er sie drei Monate lang nicht bezahlt hatte. Mitte Oktober besetzten italienische Bauarbeiter auf einer Baustelle in Trebbin bei Potsdam die Kräne. Fiola vermittelte wieder. Im Schnitt konnte er bislang 100.000 Mark pro Baustelle herausholen, bei der Verteilung wird der italienische Diplomat zum Betriebsrat. „Bei jedem Fall wird es komplizierter“, sagt Fiola, „das Traurige ist allerdings, daß die Arbeiter immer die Schwächsten sind.“
„
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen