■ Valentinstag ist Verliebtentag, aber was kommt, wenn die Liebe dauert?: "Low sex": Das neue Tabu
Im Internet kursieren wieder mal jene Zahlen, die gestreßte Paare beunruhigen. Die Kondomfirma Durex hat in 15 Ländern 10.000 Erwachsene nach ihrem Sexualleben befragt, und was erfährt man? Die US-AmerikanerInnen haben 135mal im Jahr Sex, die RussInnen 133mal und die Deutschen 127mal. Irgendwo müssen ein paar sexuell Aktive den Durchschnitt in solchen Befragungen hochtreiben: Viele Paare jedenfalls finden sich da nicht wieder. „Die Wirklichkeit sieht karger aus“, sagt der Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt. In internationalen Studien gab die Hälfte der Befragten an, weniger als einmal in der Woche mit dem Geliebten oder der Ehefrau zu schlafen.
Es gebe Indizien dafür, daß die Häufigkeit von Sexualkontakten in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen habe, so Schmidt. Marktforschungsstudien wie die Durex-Untersuchungen überzeichnen häufig die sexuelle Aktivität, weil eher die Umtriebigeren antworten und deswegen den Schnitt in die Höhe treiben. Im Unterschied dazu gelten jüngere wissenschaftliche Untersuchungen aus Großbritannien und den USA als seriös. In den Erhebungen gaben zwischen 65 und 75 Prozent der Befragten an, weniger als zweimal in der Woche Sex zu haben.
Leute in festen Beziehungen sind dabei sexuell aktiver als Singles, je frischer das Verhältnis, desto leidenschaftlicher ist es. Das Alter der Befragten spielt dagegen eher eine nachgeordnete Rolle.
„Low frequency sex“, die leicht sinkende Geschlechtsverkehrhäufigkeit in westlichen Ländern, muß dabei nicht gleich bedeuten, daß Sex weniger Spaß macht. „Sex funktioniert heute eben nicht mehr nach der Dampfkesselmethode der Triebabfuhr für den Mann“, meint Schmidt. „Die Frauen sind emanzipierter geworden. Die sagen, wenn sie keine Lust haben.“
Das zeigt sich auch in der Durex-Studie. Darin betrachteten Frauen die eigene Befriedigung beim Sex zumeist als wichtiger als die des Partners. Männer äußerten sich umgekehrt.
Weniger könnte durchaus mehr sein. „Wenn ein Paar nur zehnmal im Jahr miteinander verkehrt, kann das leidenschaftlicher sein als dreimal in der Woche zwischen „Tagesthemen“ und Schlafengehen“, so Schmidt. Das Problem: Die sinkende Sexfrequenz erzeugt bei vielen Paaren Streß im Kopf. Wer öfters mal keine Lust hat, fühlt sich als VersagerIn in einer Umwelt, in der überall halbnackte Frauen und Männer von Plakatwänden lächeln. Alle Welt scheint mehr Sex zu haben als man selber. Einer übersexualisierten Umwelt steht die eigene karge Praxis gegenüber – und vielleicht bedingt sich beides sogar.
„Sexualität gilt heutzutage als Gütesiegel, als Qualitätsmerkmal einer Beziehung“, erklärt Schmidt. Der Beischlaf wird überfrachtet mit Erwartungen von Glück und Leidenschaft. Dadurch „wird Sex dann zum anstrengenden Akt“, so Schmidt. Ein Teufelskreis.
Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen zurück bis ins 18.Jahrhundert. Seitdem „entstand im Westen nach und nach ein Eheideal, das es den Ehegatten zur Pflicht macht, einander wie Verliebte zu lieben – oder wenigstens so zu tun“, schreibt Philippe Aries. Bis heute gilt: Die PartnerInnen in Ehen oder eheähnlichen Verbindungen sollen so leidenschaftlich miteinander schlafen wie Geliebte, die einander nur begrenzte Zeit und heimlich begegnen. Das kann nicht klappen.
Die Folge der hohen Ansprüche: PartnerInnen in festen Beziehungen ziehen sich innerlich zurück. Schmidt hat festgestellt, daß die Masturbation wieder zunimmt und oft eine „Koexistenz“ mit dem Geschlechtsverkehr in der Beziehung führt. Bei der Masturbation „fallen dann die ganzen Erwartungen, das anstrengende Drumherum weg“, so der Sexualforscher.
Je bescheidener die private Praxis, um so lärmender werden die ehemals geheimen Leidenschaften öffentlich reinszeniert. Seitensprungagenturen in Berlin und München vermitteln willige PartnerInnen. Sado-Maso-Zirkel üben sich in festgelegten Rollenspielen. Die Frauenzeitschriften überbieten sich in stressigen Tips, um das Sexleben in Gang zu halten: „Stellen Sie eine Duftlampe auf, suchen Sie den Song heraus, bei dem Sie sich zum erstenmal liebten, kaufen Sie seidene Unterwäsche, werden Sie zur Göttin der Sinne.“ „Das sind Rezepte aus den 50er Jahren“, winkt Schmidt ab.
Sexualgeschichte läßt sich nicht zurückdrehen. Ein Seitensprung ist nicht mehr das gleiche wie im 19. Jahrhundert, Seidenhöschen nicht mehr sündig und Sado-Maso längst talkshow-durchgehechelt.
Die AsiatInnen sind hier gelassener, jedenfalls laut Durex-Befragung. Danach treiben es die ThailänderInnen nur 64mal im Jahr miteinander. Und sind genauso sexy wie der Rest der Welt. Barbara Dribbusch
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