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Ein wonnig Stöhnen? Cantona!

Trotz unglücklichem 0:1 bei Borussia Dortmund glaubt Trainer Alex Ferguson, daß Manchester United reif ist für das Champions League-Finale  ■ Aus Dortmund Peter Unfried

Sitzen zwei auf der Tribüne. Der eine schaut zu, der andere nicht; der muß Buchstaben in sein Gerät hacken. Plötzlich stöhnt der eine. Man hört, es ist ein Stöhnen, hervorgerufen aus einer Mischung von Unglauben und unglaublicher Wonne. Der andere hackt indessen weiter und fragt nur beiläufig: „Cantona?“

So ist das mit Eric Cantona (30). Der Ersatzkapitän von Manchester United ist ein Spieler, der, wie sein Trainer Alex Ferguson zu sagen pflegt, „den Unterschied macht“. Diesmal scheinbar nicht: Borussia Dortmund geht mit einem 1:0-Vorsprung in das Halbfinalrückspiel der Champions League und hat sich damit an Fergusons oberste Prämisse gehalten, die da lautet: „Laß nie ein Gegentor im Heimspiel zu.“

An Cantona lag es nicht, daß United am Mittwoch abend im Westfalenstadion verlor. Oder doch? Er gab, sagen britische Kollegen, den typischen Auswärts- Cantona. Das ist ein Cantona, der sich damit begnügt, hinter der Spitze Solskjaer auf die Bälle zu warten, statt wie im Old Trafford den Gegner auf dem ganzen Platz zu erschrecken. Trotzdem verlor er keinen Ball, machte erstaunliche Dinge und rettete gar einmal auf der eigenen Torlinie. Und war alleine dafür verantwortlich, daß entstand, was selbst Borussen- Trainer Ottmar Hitzfeld „zwei glasklare Chancen“ nannte.

Das stark geschwächte Dortmund (ohne Sammer, Kohler, Chapuisat, Riedle, Cesar) spielte abgeklärt/vorsichtig und hatte dank Heinrich und Paulo Sousas Pässen die erste Hälfte bestimmen dürfen, ohne zu mehr als zwei Halbchancen der Spitze Herrlich zu kommen. Nach dem Wechsel riskierte Dortmund ein klitzekleines bißchen. „Zuviel“, sagte Hitzfeld.

Der Trick war: Während Borussia um anzugreifen Manpower braucht und damit einen Hinterhalt fürchten muß, rückt United nicht auf. Cantona reicht. Zweimal streichelte er den Ball in den Rücken der aufgerückten Borussen-Abwehr. Zunächst rannte Arbeiter Nicky Butt dem nicht eben schnellen Sousa davon – und traf den Pfosten. Beim zweiten Mal spielte Beckham Klos aus und mußte sehen, wie Verteidiger Kree akrobatisch „einen phantastischen Job erledigte“ (Ferguson). United ist schon sorgfältiger mit seinen Chancen umgegangen. Andererseits hat man sonst einen anderen Torhüter. Raimond van der Gouw (34) ist für das Sitzen auf der Bank zuständig. Aber, sagte van der Gouw, „als ich Peter Schmeichel mittags gehen sah, ahnte ich, daß ich spielen würde“. Den dänischen Kapitän plagte ein Rückenmuskel, dafür war der Niederländer „glücklich, in so einem großen Spiel dabeizusein“.

So hat sich wenigstens einer gefreut, trotz René Tretschoks Linksschuß, der rechts oben zum 0:1 einschlug, doch nicht ganz im Torwinkel (76.). In Manchester aber wird man nun zehn Tage diskutieren: Hätte Schmeichel ihn gehalten? „Glaube ich nicht“, behauptete Ferguson, sprach aber von Big Peters „physischer Präsenz, die wichtig ist“. Schmeichel sieht nicht aus wie einer, gegen den man Tore schießt, van der Gouw eher. Das mag ein Grund gewesen sein, warum Tretschok draufhielt, obwohl bis dahin sämtliche der nicht eben raffinierten Borussen- Schußversuche abgeblockt worden waren. Diesen fälschte Innenverteidiger Pallister ab. Das, sagte van der Gouw, „war Pech, ich hätte den Ball sonst gehalten“.

Allerdings ist Ferguson (55) keiner, der öffentlich auf seine Spieler eindrischt. So hat er sich auch nicht verleiten lassen, sich über die Darbietungen seiner eigentlich kreativen Flügel Ryan Giggs und David Beckham auszulassen. Die beiden arbeiteten hart, schufen aber nichts. Hatte sie die Wichtigkeit des Ereignisses gehemmt? Die immer wieder beschworene englische Germanen-Phobie? Das wäre ein Indiz, daß das Team womöglich doch noch nicht bereit ist, das Erbe der 68er zu übernehmen. Bobby Charlton, Dennis Law und George Best hatten vor 29 Jahren in London den ersten und letzten Landesmeisterpokal für United geholt. An ihnen wird Fergusons Team gemessen wie der Schotte am ehrwürdigen Landsmann und Vorgänger Sir Matt Busby. Zehn Jahre ist er bei United, zur Vollendung fehlt ihm der Champions League- Titel.

Dortmunds Präsident Gerd Niebaum zum Beispiel behauptet, die „bessere Champions League- Erfahrung“ sei selbst „unserem geschwächten Team anzumerken“ gewesen. Tatsächlich war Borussia zuletzt in den letzten beiden Jahren in Viertel- und Halbfinale, während United 1994 an Galatasaray scheiterte und 1995 in den Gruppenspielen. Ferguson aber, wie er sinnierte, kam immer nur bei „bad luck“ heraus. Doch nach dem 2:3 gegen Derby County muß man am Wochenende erst einmal auf die Tabellenführung in der Premier League aufpassen. Und dann soll Dortmund kommen. „Old Trafford wird uns helfen“, sagt Ferguson. Aber Stretford End ist auch nicht mehr, was es war, seit es Umbro Stand heißt und von stummen Middle-class-Familien besetzt gehalten wird. Na, Schmeichel wird zurückkehren, und die anderen, sagt Ferguson, „werden um einiges besser spielen. Das kann ich Ihnen versichern.“

Wer insbesondere hat eigentlich Ottmar Hitzfeld gefallen? Seltsam. Der Mann war – für seine Verhältnisse, natürlich – entspannt wie selten. Doch bei dieser Frage gefror sein Gesicht zur Hitzfeld-Maske, und er sprach verkniffen: „Manchester ist als Mannschaft sehr geschlossen. Ich möchte keine Namen nennen.“ Nicht einen? Wollt' er nicht.

Die Anhänger von United hatten einen parat: „Ooh, aah, Eric Cantona“, sangen die unbeirrt. Hitzfeld aber wird nach Old Trafford seinen Sammer mitbringen. Dort wird wonnig stöhnend zu erleben sein, welcher von beiden tatsächlich den Unterschied macht. Da möchte man dabeisein. Und dann den Sieger gegen Juve sehen.

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