: Grüne wollen neuen Kurs für Berlin
Entwurf eines Regierungsprogramms für einen grün-geführten Senat vorgelegt. Ziel ist es, die Große Koalition abzulösen. Kehrtwende bei Arbeitsmarkt- und Verkehrspolitik ■ Von Dorothee Winden
Die Bündnisgrünen haben einen Entwurf für ein Regierungsprogramm eines grün-geführten Senats erarbeitet. In dem 12seitigen Papier nennt eine sechsköpfige Arbeitsgruppe um Parteisprecher Christian Ströbele „23 Gründe für eine grün-geführte Regierung in Berlin“.
Ein halbes Jahr haben FachpolitikerInnen aus Fraktion und Partei an dem Entwurf gearbeitet, der die Bereiche Arbeit und Soziales, Innere Sicherheit, Verkehr und Umwelt sowie Bildung, Wissenschaft und Kultur umfaßt. Alle Vorschläge sind von Haushaltsexperten durchgerechnet worden, erklärte gestern Landesvorstandsmitglied Michael Martens.
Die Initiative, zwei Jahre vor dem Wahltermin ein Regierungsprogramm vorzulegen, war im vergangenen Herbst vom Landesvorstand ausgegangen. Ströbele hatte damals angesichts des Versagens der SPD in der Großen Koalition den Führungsanspruch der Grünen angemeldet: Die Ökopartei will die SPD, die in Umfragen stabil bei 23 Prozent liegt, noch überflügeln. Das Papier nennt bewußt grüne Positionen pur – auf mögliche Koalitionspartner wird an keiner Stelle eingegangen.
Der CDU-geführte Senat müsse so schnell wie möglich abgelöst werden, heißt es im Vorwort. Die Große Koalition habe die Stadt in den finanziellen Ruin gewirtschaftet, den notwendigen Strukturwandel in der Wirtschaft verschlafen und auch bei der inneren Sicherheit versagt. Die Grünen verordnen Berlin daher eine Kurskorrektur um 180 Grad.
Mit der Umverteilung von Arbeit wollen die Grünen verhindern, daß Berlin zur „Armutsmetropole“ verkommt. Im öffentlichen Dienst treten die Grünen für eine massive Arbeitszeitverkürzung von 5 bis 10 Prozent ein. Im gehobenen und mittleren Dienst soll das Einkommen entsprechend zur Arbeitszeitverkürzung um sieben bzw. 1 bis 4 Prozent verringert werden. Im einfachen Dienst soll die Arbeitszeitverkürzung dagegen mit einem vollen Lohnausgleich verbunden sein. Mit dem Vorschlag könne allerdings nur das bestehende Beschäftigungsniveau gehalten werden, heißt es in dem Papier. Außerdem könnten allein durch den Abbau von Überstunden 30.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Bei der Wirtschaftsförderung wollen die Grünen statt der „Gießkannenförderung“ gezielt energie- und verkehrspolitische „Leitprojekte“ finanzieren. 750 Millionen Mark sollen dafür umgelenkt werden.
Bei der inneren Sicherheit setzen die Grünen auf Gewaltprävention. Kiezorientierte Präventionsräte, die auch von der „Landeskommission Berlin gegen Gewalt“ vorgeschlagen wurden, seien ein geeignetes Mittel, um der Jugendgewalt, aber auch der steigenden „rechten Gewalt aus der Mitte“ der Gesellschaft zu begegnen.
Am konkretesten fallen die Vorschläge bei der Verkehrspolitik aus: Die BVG soll wieder attraktiver werden. Der Preis der Umweltkarte soll auf 80 Mark gesenkt werden und wie früher auch die kostenlose Beförderung von Fahrrädern beinhalten. Die U-Bahnen sollen tagsüber mindestens alle fünf Minuten fahren. Nachts sollen alle Linien durchgehend in Betrieb bleiben. Das Straßenbahnnetz soll um 50 Km ausgebaut werden. Dies soll durch eine steigende Zahl von Fahrgästen, aber auch durch einen Beitrag der Autofahrer finanziert werden: Das Parken soll innerhalb des S-Bahnrings kostenpflichtig werden, als Parkticket gilt die Umweltkarte. Außerdem solle Berlin zur Solarhauptstadt ausgebaut werden.
In der Sozialpolitik wollen die Grünen in erster Linie der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Sozialhilfeempfängern entgegenwirken: ein Sozialpaß soll Bedürftigen den verbilligten Zutritt zu Kultur- und Bildungsveranstaltungen ermöglichen. Ziel der Grünen ist, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu bieten. Die Träger der Berufsausbildung sollen dafür entsprechende Finanzmittel erhalten. Dies dürfte einer der wenigen Punkte sein, an deren Umsetzbarkeit Zweifel angebracht sind.
Insgesamt hüten sich die Grünen davor, mit dem Regierungsprogramm zu große Hoffnungen zu wecken. „Die Handlungsspielräume jeder künftigen Stadtregierung bleiben drastisch eingeschränkt“, heißt es mit Verweis auf den milliardenschweren Schuldenberg des Landes. Der Entwurf soll nach weiteren Debatten auf der Landesdelegiertenkonferenz im Juni beschlossen werden.
In den kommenden Wochen wird die taz die Vorschläge debattieren.
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