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Mental defekte Arbeitslose?

■ betr.: „Arbeitslosigkeit – weil wir sind, wie wir sind“, taz vom 5. 7. 97

„Logik wäre es, sie nicht anzuerkennen“, formulierte einmal der alte Helmut Qualtinger.

Das also kommt dabei heraus, wenn sich Realpolitiker vom Schlage der Herren Biedenkopf und Stoiber von ihres „Meisters“ Strategie des Aussitzens entfernen und Gedanken zum Phänomen Arbeitslosigkeit machen (lassen). Fazit: Schuld tragen die anderen, insbesondere die Arbeitslosen selbst.

Daß ich nicht lache! Als jemand, der Arbeitslosigkeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln erlebt hat (als Betroffener und als pädagogischer Betreuer von Langzeitarbeitslosen) weiß ich, daß die behauptete – aber nirgends belegte – fehlende Flexibilität und Mobilität von Arbeitssuchenden aus dem Reich der Fabeln und Legenden stammt.

Merkwürdig auch der sehr einseitige Ruf nach Risikobereitschaft bei denen, die keinen Arbeitsplatz besitzen. Wo, bitte, hat sich denn die Risikobereitschaft bei Politikern und führenden Repräsentanten von Industrie und Wirtschaft manifestiert? Das Wagnis beruflicher Selbständigkeit hängt doch zunächst primär mit der Bereitschaft von Risikokapital zusammen. Wo dieses zur Verfügung gestellt wird, gibt es auch Existenzgründungen in nennenswertem Umfang. Etwa in den angelsächsischen Ländern. So aber zeigt sich, daß der Bericht einzig in der Lage ist, bestehende Ressentiments gegen Arbeitslose als „arbeitsscheues Gesindel mit überzogenen Ansprüchen“ zu verfestigen, indem er Arbeitslosigkeit zu einem mentalen Defekt von Arbeitslosen reduziert.

Dies aus dem Munde beziehungsweise der Feder eines Menschen, für den Arbeitslosigkeit allenfalls ein statistisches und kein biographisch erfahrenes Phänomen ist. Daß ein Professor der Minimalanforderung einfacher Grundrechenarten nicht genügt (Thema: Angebot und Nachfrage an Arbeitskräften), dokumentiert abermals höchst eindrucksvoll, daß fachliche Kompetenz dort keine Rolle mehr zu spielen scheint, wo nur die „richtige“ Gesinnung vorherrscht. Zu diesem Konglomerat an Borniertheit und Ignoranz fällt mir nur noch Volkes Mund ein: „Angriff ist die beste Verteidigung“, heißt es dort. Mag sein! Aber ein Zeichen verantwortlichen Tuns sicherlich nicht! Wolfgang Leiberg, Marburg

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