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Großer Schritt im Kopf

Lothar Leder, Weltrekordler im langen Triathlon, will seinen Titel beim Europe-Ironman in Roth verteidigen  ■ Von Frank Ketterer

An ein Bild kann sich Lothar Leder besonders gut erinnern. Kurz vor dem Ziel, irgendwo bei Kilometer 40 muß es gewesen sein, zeigt es seine Freundin Nicole, wie sie ganz aufgeregt neben ihm herrennt und ihm immer wieder zuruft: „'S reicht, 's reicht“. „Erst da habe ich registriert, wie schnell ich unterwegs war“, sagt der Triathlet. Kurze Zeit später sieht man den Mann aus Darmstadt unter dem Zieltor stehen, die geballte Faust hin- und herrudernd wie eine Säge, über ihm leuchtend eine 7, eine 5 und nochmals eine 7. Der Beweis, daß es tatsächlich gereicht hat.

Sieben Stunden, 57 Minuten, 2 Sekunden. Nie zuvor hat ein Mensch die lange Triathlondistanz schneller zurückgelegt als Lothar Leder vor ziemlich genau einem Jahr beim Europe-Ironman in Roth bei Nürnberg. Mehr noch: Leder steht seither in den Geschichtsbüchern des Triathlons als jener, der die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,195 km laufen als Erster unter der magischen Acht-Stunden- Grenze absolviert hat.

Seither ist viel passiert im Leben des Lothar Leder. Fast täglich riefen Reporter bei ihm an, im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF durfte er ziemlich lange mit Günther Jauch plaudern und anschließend sogar auf die Torwand schießen mit KSC-Sturmstar Sean Dundee, die Jugend-Postille Bravo widmete ihm mehrere Seiten mit großen Fotos; prompt kamen wöchentlich gut 500 Briefe mit Autogrammwünschen. Lothar Leder war auf dem besten Weg, der erste Popstar des Triathlons zu werden.

Irgendwie schien er dazu ja auch geschaffen: groß (189 cm), athletisch (78 kg), gut aussehend. Und dann war da ja noch das Image des Chaoten, der sowieso macht, was er will. Lothar Leder, der irre Typ, der nach dem Training kurz mal rüber zu McDonalds geht und sich ein paar Big Mäcs reinpfeift. So etwas kommt an beim Publikum, auch wenn es kaum der Wahrheit entspricht. „Du mußt aufpassen, daß du nicht abhebst. Daß du nicht denkst, du seist der Superstar. Das bist du nämlich nicht“, hat Leder aus dieser Zeit mitgenommen. Ein Popstar taugt nicht zum Eisenmann.

„Triathlon macht mir Spaß, weil ich Freiheiten habe“, sagt Lothar Leder. Acht Stunden irgendwo im Büro zu sitzen, so wie er das als Bankangestellter getan hat, kann er sich schon lange nicht mehr vorstellen. „Ich genieße es, Triathlonprofi zu sein“, sagt er, seit drei Jahren übt er diesen Beruf aus.

Das ist auch jener Zeitpunkt, „an dem ich einen großen Schritt im Kopf gemacht habe“, sagt Leder. Klar, zu seiner Junioren-Zeit sei er schon ein rechter Wilder gewesen. Noch vor zwei Jahren hat sich sein damaliger Heimtrainer von ihm getrennt, weil er eine seriöse Trainingsplanung mit Leder für nicht möglich hielt, wo dieser doch Wettkampf an Wettkampf reihte, gerade wie es ihm in den Sinn kam. „Ich bin Profi und muß auch so leben“, hat der 26jährige mittlerweile erkannt. Das heißt für ihn auch, daß er am besten weiß, was gut ist für seinen Körper und was nicht. „Ich trainiere nach Gefühl, aber es steckt schon Plan dahinter“, beschreibt er einen scheinbaren Widerspruch. Fühlt er sich an einem Tag nicht gut, läßt er es eben sein mit dem Training, pro Woche hat er einen Ruhetag fest eingeplant. Auf 25 bis 35 Trainingsstunden wöchentlich bringt es Leder so, die meisten Eisenmänner fressen weitaus mehr Kilometer als er.

Vor allem bei der Deutschen Triathlon Union (DTU), wo versucht wird, Erfolge wissenschaftlich am Reißbrett zu planen, geht man mit Leder in solchen Dingen nicht d'accord. Kräftig sauer waren Bundestrainer Steffen Grosse und DTU-Präsident Martin Engelhardt letztes Jahr, als Leder bei der Kurzstrecken-Weltmeisterschaft in Cleveland, sechs Wochen nach seiner Weltbestzeit, nur 53. wurde. Fast schon Spott mußte der Darmstädter ertragen, als er auch beim Hawaii-Ironman nur 18. wurde. „Auf einmal war ich der Miesepeter“, erzürnt er sich heute noch darüber.

Auch den Athletenvertrag der DTU für Sydney 2000, wo Triathlon erstmals olympisch wird, hat Leder (noch) nicht unterschrieben. Drei Jahre vor Olympia will er sich nicht verpflichten lassen, die für die Medien und Sponsoren lukrative Langstrecke links liegen zu lassen, um sich allein auf die olympische Kurzstrecke (1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren, 10 km Laufen) zu konzentrieren. „Finanziell indiskutabel“ nennt er das DTU- Papier, auch darauf muß er als Profi achten. Dabei wäre er durchaus gern dabei in Australien, schon weil ihm die Kurzstrecke ohnehin mehr Spaß bereitet als die mörderischen 226 Ironman-Kilometer.

Denn jede Menge Leiden ist auch für Lothar Leder dabei, wenn es, wie am Sonntag erneut in Roth, durch die Ironman-Hölle geht. Dann wird um sechs Uhr morgens die Jagd eröffnet auf seine Weltbestzeit. Hawaii-Sieger Luc van Lierde (Belgien), der zweifache Hawaii-Zweite Thomas Hellriegel aus Büchenau bei Bruchsal, Jürgen Zäck (Koblenz), Roth-Sieger 1994 und 1995, und der Vorjahreszweite Dr. Rainer Müller Hörner sind neben Leder die Favoriten. „Wer ins Rennen geht, um meine Weltbestzeit zu brechen, wird es nicht schaffen“, ist Lothar Leder sicher.

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