: „Du, der Wenger will dich“
Wie der fränkische Freizeitfußballer Alberto Mendez vom Fünftligisten SC Feucht auf wunderbare Weise beim Uefa-Cup-Teilnehmer FC Arsenal landete ■ Von Ronald Reng
London (taz) – Die ersten Anzeichen von Ruhm hat eine Putzfrau vernichtet. „So groß war der Bericht, mit Foto“, sagt Alberto Mendez und zeichnet mit den Händen ein riesiges Viereck in die Luft. Dann läßt er die Hände enttäuscht auf die Oberschenkel fallen. „Weggeworfen“, sagt er.
Eine übereifrige Putzfrau des Sopwell House Hotels in Saint Albans bei London trug die Zeitung, die auf Mendez' Zimmer herumlag, zum Müllcontainer. Zwischen Essensresten und Zigarettenasche verschwand Großbritanniens auflagenstärkste Zeitung, The Sun, mit einer Geschichte über Alberto Mendez (22), den neuen Mittelfeldspieler des englischen Fußball- Erstligisten Arsenal London. Die Geschichte ist aber viel zu schön, um im Müll zu verschwinden. Hier ist sie, neu erzählt.
Mendez, in Nürnberg als Sohn spanischer Eltern geboren und aufgewachsen, las im Mai dieses Jahres im kicker, daß ihn Arsenal- Trainer Arsene Wenger im letzten Spiel der Saison beobachten werde. „Du liest das und denkst dir: Blödsinn“, sagt Mendez. Er hatte ein gutes Jahr gehabt, 20 Tore geschossen, sein Klub stand schon lange vor besagter Partie als Aufsteiger fest.
Sein Verein war allerdings der SC Feucht, fünfte Liga, ein kleiner Ort in Franken. Da erwartet man Angebote vom TSV Ansbach und nicht von Arsenal, dem Europapokalsieger von 1993. „Wer mit dem Ball umgehen kann, kann in jede Liga wechseln, auch wenn er gerade in der untersten Klasse spielt“, behauptet aber Wenger. Ein befreundeter deutscher Talentesucher hatte ihm den Tip gegeben, und so kam der Franzose aus London und sah mit circa 150 anderen Zuschauern die Landesliga- Partie ESV Rangierbahnhof Nürnberg gegen SC Feucht. Weil ihnen der Aufstieg bereits sicher war, „hatten wir seit drei, vier Wochen nicht mehr trainiert“, erinnert sich Mendez, sondern statt dessen „ziemliche viele inoffizielle Aufstiegsfeiern gemacht“. Dementsprechend spielte er.
Am nächsten Morgen um neun, nach einer weiteren durchfeierten Nacht, klingelte Mendez' Telefon. „Du, der will dich“, sagte Dieter Nüssing, sein Trainer in Feucht. „Wer?“ fragte Mendez. „Na, der Wenger“, sagte Nüssing. „Du hast doch noch 'nen Rausch“, sagte Mendez.
Ein paar Tage später saß er Wenger in London gegenüber. „Dreimal“, sagt Mendez, „habe ich ihm gesagt: ,Sie haben mich einmal beobachtet, ich habe schlecht gespielt, und Sie wollen mich – das verstehe ich nicht.‘“ Wenger muß heute noch lachen, wenn er an die Szene denkt. „Ja, er war wirklich schlecht“ damals am Rangierbahnhof, sagt der Trainer, „aber ich konnte sein Potential erkennen: Der Junge ist etwas Besonderes.“
Mendez, Betriebswirtschaftsstudent an der Uni Erlangen/ Nürnberg, der „jetzt, am 16. August, eigentlich noch Vordiplomprüfungen hätte schreiben müssen“, bekam einen Profivertrag für sechs Jahre.
So kurios es ist, daß Arsenal einen Spieler in der deutschen Provinz entdeckt – verblüffender ist, warum die deutschen Profivereine eine solche Begabung nicht sahen. Volker Finke vom Bundesliga-Absteiger SC Freiburg war der einzige, der sich Mendez anguckte (und auch verpflichten wollte). Doch während neben Wenger auch Gordon Strachan, der Trainer des Premier-League-Rivalen Coventry City, den Weg nach Franken fand, erschien dem Präsidenten des TSV 1860 München, Karl-Heinz Wildmoser, die anderthalbstündige Autofahrt nach Feucht offenbar nicht der Mühe wert. Als Talentesucher Andreas Singer Wildmoser auf Mendez aufmerksam machte, habe er, so Singer, zur Antwort bekommen, „daß ein Landesligaspieler nicht wichtig sein kann“.
Seit anderthalb Monaten ist Mendez in London. In einer der teuersten Mannschaften Europas mit Nationalspielern wie dem Niederländer Dennis Bergkamp oder Torwart David Seaman hat er die Trikotnummer 23 bekommen. Zwar sagt Wenger, die Nummer sage nichts über seinen Stellenwert im Kader, doch natürlich muß sich Mendez hinten anstellen. In der Sonne auf der Terrasse des Sopwell House Hotels, in dem er derzeit noch wohnt, muß er plötzlich laut lachen – über sich selber. Auf die Frage, wie das denn mit seiner Staatsbürgerschaft genau sei, hatte er ganz ernst geantwortet, er sei „Fußballdeutscher, ich habe aber auch einen spanischen Paß, könnte also auch für Spanien spielen“. Als ihm bewußt wird, was er gerade gesagt hat, prustet er los: „Na ja, so weit ist es ja noch nicht ganz.“ Im ersten Jahr „schön oft eingewechselt werden“ ist das Nahziel. Den Saisonauftakt hat er gerade verpaßt, weil ihm in der Vorbereitung ein ungestümer Torwart das rechte Bein wegzog, Kapsel und Bänder im Fußgelenk lädierte; Spiel Nr. zwei, das 2:0 gegen Coventry am Mittwoch, auch. Aber die Testspiele haben Mendez den Glauben gegeben, daß „ich das hier auch spielen kann“.
Einer bei Arsenal ist davon allerdings offensichtlich noch unbeeindruckt geblieben: der Fahrer des Mannschaftsbuses. Der hat Alberto Mendez nach seinem besten Vorbereitungsspiel in Leyton einfach vergessen.
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