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Krista, Krisen, Koalitionen

■ Die Hamburger Spitzenkandidatin der Bündnisgrünen, Krista Sager, kann an ihre frühere Zeit als Shooting-Star nicht mehr anknüpfen. Sie wurde zur ungeliebten Spitzenfrau Aus Hamburg Silke Mertins

Aus Hamburg Silke Mertins

Krista Sager hat ihn schon von weitem erspäht. Freudig läuft die bündnisgrüne Spitzenkandidatin über den Hof des Hamburger Rathauses auf den nicht minder entzückten SPD-Innensenator Hartmuth Wrocklage zu. Daß die Krista im November vergangenen Jahres wieder zurückkam in die Hansestadt, hat der Sozialdemokrat von Herzen begrüßt.

Mit vor Rührung gebrochener Stimme hatte Wrocklage ihr beim Abschied 1994, als Sager das Amt der bündnisgrünen Parteisprecherin in Bonn annahm, einen dicken Blumenstrauß überreicht. Sich nun, kurz vor Bürgerschaftswahl am 21. September, wieder am Tatort der politischen Meinungsbildung und freien Entfaltung persönlicher Sympathien zu treffen, weckt angenehm warme Erinnerungen. Damals, vor vier Jahren, als die Wirtschafts- und Finanzfachfrau Krista Sager zum umschwärmten Medienliebling wurde und er, Wrocklage, sich noch als Staatsrat mit dem Hamburger Haushalt befassen durfte; als die Grüne noch „Liebling der Götter“ (Sager über Sager) war und er noch Herr der Zahlen.

Heutzutage muß der SPD-Innensenator Wrocklage 10.000 Polizisten bändigen und Sager 1.500 Mitglieder der Grün-Alternativen Liste (GAL). Auf der Treppe zum Plenarsaal trennen sich die rot-grünen Wege. Wrocklage muß sich auf der Senatsbank und Sager von den Besucherrängen aus anhören, was der Erste Bürgermeister Henning Voscherau Hamburg und der Welt mitzuteilen hat.

Noch Tage später, beim GAL- Pressegespräch im noblen Steigenberger-Hotel, ist die 44jährige Reala erregt über die „Selbstherrlichkeit“ des Stadtchefs. „Die Menschen haben die Nase voll von Voscherau“, will sie von den BürgerInnen erfahren haben. Tatsächlich aber hat vor allem Krista Sager die Nase voll vom Ersten Bürgermeister. Vor vier Jahren war sie der grüne Shooting-Star, der über Hamburgs Grenzen hinaus Schlagzeilen machte und in deren Glanz der gewiefte SPD-Rechte Voscherau mittels gemeinsamer Wahlkampfauftritte teilhaben wollte.

Doch inzwischen ist aus Voscherau, auch wenn Sager ihn noch immer einen „Provinzfürsten“ schimpft, ein Finanzpolitiker geworden, der zu den Top ten der bundesdeutschen Sozialdemokratie gehört. Noch nie war er so populär. Und noch nie war Krista Sager so wütend auf die zeitgeschichtliche Ungerechtigkeit. Eine Startrampe für Bonn sollte die Hamburg-Wahl sein. Ein noch strahlenderes als das grüne Stimmergebnis der Landtagswahl von 1993 – 13,5 Prozent – wollte Krista Sager einfahren. Und dieses Mal sollte es klappen mit einer rot-grünen Koalition an der Elbe.

Doch alles lief schief. Kaum hatte die gebürtige Bremerin sich wieder in ihrer kleinen Wohnung in der Neustadt eingerichtet, ihren Liebsten, einen Spiegel-Redakteur, aus Bonn nachgeholt, da brach auch schon Unbill über sie herein. Die Parteilinken, wenig begeistert über Sagers Wiederkehr, rüsteten in letzter Minute zum Gegenschlag. Nur wenige Tage vor dem Parteitag im April, der Sager zur Spitzenkandidatin küren sollte, zauberten sie eine Gegenkandidatin aus dem Hut und inszenierten ein unerquickliches Gerangel zwischen den Flügeln. Diesen Zwist wiederum verfolgten die Sozialdemokraten mit großer Häme.

Sager setzte sich durch, doch das Image der ungeliebten Spitzenkandidatin blieb. Die Säle wollen einfach nicht mehr voll werden. Selbst wenn Sager sich mit Prominenten wie Heidi Kabel präsentiert, steht niemand Schlange. Auch Realos fragen sich entsetzt, wo die Anziehungskraft und die mitreißende Begeisterung der Spitzengrünen geblieben ist. Gereizt und genervt wirkt sie nun oft. „Quatschen Sie nicht immer dazwischen“, fuhr sie gar in einer Elefantenrunde im Hause Springer den Spitzenkandidaten der FDP an. Die Stimmung der GAL schwankt zwischen hektischer Betriebsamkeit und tiefer Depression. Daß die Umfrageergebnisse, die vor einem Jahr noch bei 20 Prozent lagen, noch nicht in den Keller gerutscht sind, sondern immer noch zwischen 14 und 16 Prozent rangieren, erscheint vielen wie ein Wunder. Denn nicht Krista Sager, sondern das Thema Innere Sicherheit wurde zum Wahlkampfschlager. Die GAL werde sich nicht daran beteiligen, jede Woche „eine sicherheitspolitische Sau durchs Dorf zu treiben“, verkündete die prominente Spitzenfrau in frischgebügelter Bluse und mit sorgsam aufgetragenem Lippenstift. Dennoch versuchte sie auf dem verminten Gelände „Kriminalitätsbekämpfung“ Punkte zu gewinnen. Mehr Polizei auf die Straße, Kampf den pissenden Männern, und – wenn die sozialen Rahmenbedingungen stimmen – auch ein Zurückdrängen der offenen Drogenszene schlug Sager vor. Viele Grüne glaubten ihren Augen und Ohren nicht zu trauen. Alle beißen die Zähne zusammen, um vor der Wahl ein Bild der Geschlossenheit zu demonstrieren. Doch an der Basis und in den Gremien macht sich Unmut breit. „Krista hat die Bodenhaftung verloren“, zetert ein GALier. Sager wiederum klagt den Bonner Kollegen ihr Leid mit dem schwierigen Hamburger Landesverband, wo es links der Linken auch noch die unberechenbare ZAS (Zwischen allen Stühlen) zu ertragen gelte. Zwischen allen Stühlen sitzt sie derzeit selbst. Bloß nichts Falsches sagen und die Basis verprellen und dennoch der Öffentlichkeit ein Bild grüner Omnipotenz vermitteln. Auf dem Podium ist die Profifrau in ihrem Element, unter ihren eigenen Leuten steht sie oft seltsam verloren herum. Mit Krista Sager bespricht man Strategien und politische Probleme, aber nicht den Liebeskummer der Kollegin oder den Klatsch aus der Geschäftsstelle. Distanzlos ist bei ihr nur der Wille zur Macht.

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