: Schlagt die Bovisten, wo ihr sie trefft! Von Wiglaf Droste
Pilze sehen nicht nur prima aus, sondern haben oft auch prima Namen: Diverse Mitglieder der Familie Ritterling zum Beispiel erinnern stark an Oblong-Fitz-Oblong, den kleinen dicken Ritter aus der „Augsburger Puppenkiste“. Wäre Fitz-Oblong ein Pilz, so ganz gewiß ein Ritterling, wenn auch sicher kein „Lästiger Ritterling“, kein „Gemeiner Weichritterling“ und auch kein „Schiesser“-Unterwäsche tragender „Gerippter Ritterling“; eher schon ein „Unverschämter Ritterling“, ein „Lilastiefeliger Rötelritterling“, der, an Zorro gemahnend, auch „Maskenritterling“ genannt wird, ein „Krokodilritterling“, ein „Galliger Ritterling“, ein auf Abenteuer „Brennender Ritterling“, ein „Gegürtelter Erdritterling“ oder ein „Tiger- Ritterling“.
Oder vielleicht sogar ein „Nackter Ritterling“, also quasi der Pernod unter den Pilzen. Kräftig ist sein Anisgeschmack, was die Pilzesser in zwei Lager spaltet: die freudigen Verputzer und die angewiderten Verschmäher. (Wer als Jugendlicher einmal ungut, ja nahezu final die Bekanntschaft von Ouzo, Raki oder Pernod machte und seitdem schon beinahe vomieren muß, wenn er Anis nur von Ferne schnuppert, weiß, was ich meine.)
Den „Nackten Ritterling“ lernte ich auf höchst erfreuliche Weise kennen: Er war die Rettung einer miserablen Pilzsaison. Wochenlang war ich, als Sechsjähriger gelenkig, gewandt und geschickt, im Unterholz und in allerlei Schonungen herumgekrochen – vergeblich. Außer Hexenröhrlingen, Speitäublingen, Fliegenpilzen, Stinkmorcheln, blöden Kartoffel- oder Flaschenbovisten und dürrem Kleinzeug, das „Suppenpilz“ genannt und sitzengelassen wurde, gab es nicht zu holen.
Dann aber fand ich ihn: den „Nackten Ritterling“. Noch nie war dieser Pilz bisher in unserer Familie probiert worden, und da die Auskünfte über seine Genießbarkeit beziehungsweise sogar Giftigkeit in diversen zu Rate gezogenen Pilzbrevieren sehr unterschiedlich und widersprüchlich waren, wurde folgender Plan ersonnen: Um den Bestand der Familie auch im Falle eines tödlichen Versuchsausgangs zu gewährleisten, sollte nur je ein Erwachsenen- und ein Kinderteil der Familie die Pilze probieren, während die restlichen hungrigen Mäuler mit ungefährlichen, also langweiligen Speisen vorlieb nehmen mußten.
Das Los fiel auf meinen Vater und meinen älteren Bruder; mutig aßen sie gleich eine ganze Pilzpfanne auf.
Des nachts wand sich mein Vater in Schmerzen, die vom Magen her rührten; mein Bruder aber tat, was er bis heute noch am besten kann und am liebsten tut: Er schlief tief und selig. Mein Vater indes quälte sich herum und machte sich bittere Vorwürfe, durch übertriebenen Leichtsinn der Familie den Brotverdiener, den Patriarchen entrissen zu haben, und die Familie nahm auch bereits, das Knie beugend und in großer Verehrung, von ihm Abschied, als sich eine banale Blinddarmentzündung als Quell des Übels erwies.
So büßte mein Vater zwar den Nimbus eines für die Familie heldenhaft Gefallenen ein, genas aber rasch von der Operation und ging schon bald wieder mit uns in die Pilze, wo wir unseren Schlachtruf erklingen ließen: „Schlagt die Bovisten, wo ihr sie trefft!“ Und das tun wir heute noch.
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