piwik no script img

Schon bist du ein Verfassungsfeind

■ Macht des Theaters, Theater der Macht: Eine Gruppe exiliranischer Theaterleute zeigt "Prometheus in Evin" in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen. Ein Gespräch mit dem Regisseur Iraj Jannatie-Ataie und

Evin – so heißt das iranische Gefängnis, das schon zu Zeiten des Schahs für politische Häftlinge bestimmt war. Eine junge Dichterin sitzt dort ein. Um der Hinrichtung zu entgehen, läßt sie sich zu einem Geständnis vor laufender Kamera bewegen. So entkommt sie zwar den Gefängnismauern und der Folter. Ruhe aber findet sie auch nach ihrer Entlassung nicht: Sie wird von ihrer Familie verstoßen.

Ein leichter Stoff ist es nicht, den der iranische Dramatiker Iraj Jannatie-Ataie mit „Prometheus in Evin“ aufgreift. Vor zehn Jahren wurde das Stück im Londoner Royal Court Theatre uraufgeführt. In einer bearbeiteten Fassung ist es heute und morgen in der Werkstatt der Kulturen zu sehen. Jannatie- Ataie lebt seit fast zwanzig Jahren in England, wo er zahlreiche Stücke verfaßt und mit der Gruppe Masdak inszeniert hat. In Berlin arbeitet er gemeinsam mit drei iranischen Gruppen: Sara, Gohar und dem Theater Insel.

Mithra Zahedi verließ den Iran erst 1985. In Berlin hat sie als Schauspielerin und Regisseurin an mehreren Inszenierungen mitgewirkt – unter anderem an „Letzte Nacht“, einem Stück, das auf einem Text des chilenischen Autors Ariel Dorfman beruht und im vergangenen Jahr im Haus der Kulturen der Welt aufgeführt wurde. In „Prometheus in Evin“ übernimmt Zahedi kleinere Rollen und ist als Regieassistentin tätig.

taz: Sie führen in persischer Sprache auf. Heißt das, daß Sie sich auch nur an diese Sprachgemeinschaft wenden?

Mithra Zahedi: Nein. Wir wenden uns an persischsprechende wie an nichtpersischsprechende Zuschauer, und für letztere gibt es auch eine Simultanübersetzung. Es geht uns um die Verantwortung von Menschen, die sich integrieren wollen. Das ist ein Thema, das alle angeht, auch wenn es uns selbst natürlich besonders betrifft. Als Künstler wollen wir zeigen, daß wir offen sind, daß wir Themen haben, die nicht nur uns gehören. Nach der Inzenierung von „Letzte Nacht“ gab es viele Zuschauer, die gesagt haben: „Wir haben etwas davon gehabt. Es war kein exotisches Thema, sondern eines, das uns angeht.“

In der Londoner Version, mit einer männlichen statt einer weiblichen Hauptfigur, wirkt „Prometheus in Evin“ beinahe wie eine Vorwegnahme des Falls von Faradsch Sarkuhi.

Iraj Jannatie-Ataie: Das ist richtig. In einem Land wie meinem glauben die Machthaber, daß sie Theater spielen, wenn sie regieren. Man weiß nicht mehr, ob wir, die Künstler, nachahmen, was die Politiker vorgeben, oder ob es umgekehrt verläuft. Die neue Fassung des Stücks greift ein Problem auf, das im heutigen Iran weit verbreitet ist: Es geht um eine Frau, eine Dichterin, die nicht so sein will, wie man ihr vorschreibt. Sie will ein gewöhnliches Leben führen, und das macht sie zu einer Staatsfeindin. Von nun an widerfährt ihr, was mit Faradsch Sarkuhi, was mit jedem Intellektuellen geschieht, wenn er eines jener Verbrechen begeht, die erst der Staat als Verbrechen definiert.

Versuchen Sie, das Porträt, das Sie von der Situation im Iran liefern, zu einer Skizze vom Leben unter einer Diktatur – egal wo – zu weiten?

Jannatie-Ataie: Jedes Kunstwerk nimmt seinen Ausgangspunkt zu Hause. Man spricht über das, was man erlebt. Dann hängt es davon ab, wie man diese Erfahrung gestaltet – ob man sie ins Allgemeine ausdehnt oder damit zu Hause bleibt. Die Erfahrung, um die es in „Prometheus in Evin“ geht, ist einzigartig, und in diesem Sinne ist das Stück nicht übertragbar. Andererseits: In Diktaturen überall auf der Welt entwickeln sich vergleichbare Kunstrichtungen, vergleichbare Schulen, ähnliche Modelle, denen die Produktion und Verbreitung von Kunst folgen.

Sie machen entschieden politisches Theater. Gibt oder gab es eine entsprechende Tradition im Iran?

Jannatie-Ataie: Kurz vor und nach der Revolution gab es eine starke Politisierung. Heute, mit der neuen Diktatur, ist das anders. Es gibt kaum Theater. Eine Aufführungsgenehmigung erhält nur, wer spielt, was die Regierung will. Im Exil, als Ausländer, ist es sehr schwierig, ein Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Niemand will einen subventionieren.

Hierzulande stößt Kunst mit politischem Anspruch zunehmend auf Desinteresse. Wie gewinnen Sie Ihr Publikum?

Jannatie-Ataie: Überall auf der Welt verliert das Theater Publikum. Ich denke, dafür gibt es verschiedene Gründe, die ich jetzt nicht darlegen muß. Wer glaubt, daß ein Stück keine politischen Fragen verhandeln soll, sollte einfach besser zu Hause bleiben. Text und Interview: Cristina Nord

„Prometheus in Evin“: Heute und morgen um 20 Uhr in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32, Neukölln (in persischer Sprache mit Simultanübersetzung)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen