piwik no script img

Vietnams Bauern protestieren gegen Steuern

■ Lokale Funktionäre bereichern sich auf Kosten der Bevölkerung. Sie erfinden immer neue Abgaben, um ihr Einkommen aufzubessern. Jetzt hat die Regierung die ersten gefeuert

Bangkok (taz) – Zuerst versammelten sich nur ein paar Dutzend Frauen und Männer vor dem Gebäude des Volkskomitees von Thong Nat. Sie schwenkten Transparente und protestierten laut gegen die Korruption der Beamten. Bald schwoll die Zahl der Demonstranten auf mehr als 10.000 an. Polizisten knüppelten auf die Bauern ein, während die Dörfler eine wichtige Überlandstraße mit umgestürzten Bäumen und Tischen blockierten und Polizeiwagen in Brand setzten.

Wie in der südvietnamesischen Provinz Dong Nai am vergangenen Wochenende brodelt in vielen Teilen des Landes der Zorn der Bauern über die Willkür der lokalen Politiker und die wachsende Ungleichheit im Land. Hinter den jüngsten Protesten, rund fünfzig Kilometer nördlich von Ho-Chi- Minh-Stadt, dem früheren Saigon, steckt ein ganzes Gewirr von Konflikten: Offenbar hatten die Behörden Grundstücke beschlagnahmt, um einen großen Markt zu bauen. Doch statt dessen verkauften die Funktionäre größere Teile des Landes weiter und steckten den Gewinn in die eigene Tasche. Zu dem enteigneten Land sollen auch Flächen gehören, die im Besitz der katholischen Kirche waren.

Zwar versuchten die Behörden in Dong Nai die Unruhen „schlechten Elementen“ in die Schuhe zu schieben. Doch die Zentralregierung ließ sich mit solchen Erklärungen nicht abspeisen und forderte einen ausführlichen Bericht an. Denn sie muß fürchten, daß der Funke überspringt. Bereits im Sommer wehrten sich die Bewohner von 128 Dörfern im Norden gegen immer höhere Steuern und immer neue Sonderabgaben, die ihnen Provinzbeamte abpreßten. Lange versuchte die Regierung in Hanoi, die monatelangen Unruhen in der Küstenprovinz Thai Binh totzuschweigen. Schließlich gab die Parteizeitung Nhan Dan Anfang September lakonisch zu, einige Bauern in der Provinz hätten sich wegen der Steuern zu „extremen Handlungen“ hinreißen lassen. Die Dörfler verprügelten Parteifunktionäre und zündeten deren Häuser an, weil sich die Beamten mit dem Geld neue Autos kauften, anstatt, wie versprochen, Straßen zu bauen, hieß es in Hanoi.

Für die Provinzpolitiker und Parteifunktionäre ist die Versuchung groß, sich auf Kosten der Bauern zu bereichern: Einerseits sind sie auf Schmiergelder geradezu angewiesen, weil die staatlichen Gehälter so niedrig sind, daß niemand seine Familie davon ernähren kann. Andererseits müssen sie kaum fürchten, bestraft zu werden: Auch heute noch „endet die Macht des Kaisers am Eingang des Dorfes“, wie ein altes vietnamesisches Sprichwort sagt. Die Provinz-Oberen scheren sich deshalb wenig um Gesetze oder Anweisungen aus Hanoi. Da die lokalen Behörden um ausländische Investitionen konkurrieren, erhöhen sie Steuern, erfinden neue Abgaben und enteignen Land, um Straßen und Industriezonen zu bauen – und bedienen sich dabei großzügig selbst.

Achtzig Prozent der Vietnamesen leben auf dem Land. Seit der wirtschaftlichen Öffnung Ende der achtziger Jahre sind die Erträge in der Landwirtschaft zwar gewachsen, doch zum Preis großer Ungleichheit: Reisbauern verdienen im Durchschnitt kaum mehr als 400 Mark im Jahr. Die Bewohner von Hanoi oder Ho-Chi-Minh- Stadt hingegen können auf über 2.000 Mark kommen.

Für die Partei waren die Unruhen von Thai Binh ein ganz besonderes Alarmsignal: In der gleichen Provinz hatten die Bauern schon früher protestiert – mit Hilfe der KP gegen die hohen Steuern, die sie an die französischen Kolonialherren entrichten mußten.

Vergangene Woche versuchte Hanoi, die Bauern zu besänftigen. Die Regierung feuerte Vu Xuan Truong, den mächtigen Gouverneur von Thai Binh, der auch im Zentralkomitee sitzt. Fast fünfzig weitere Provinzfunktionäre mußten ebenfalls gehen. Jutta Lietsch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen