: Rainer, piep, piep piep – ich hab' Dich ja so lieb!
■ betr.: „Dreißig Jahre Trauer sind genug“, Oster-taz
Jetzt endlich haben wir Gewißheit: Die 68er sind die ewigen Gewinner. Nach 30 Jahren immer noch an der Spitze der Bewegung. Rudi der erste Rapper und Deejay (wie Rudi das Wort wohl ausgesprochen hätte?). Na, der hat doch die Gnade einer Nahtoderfahrung verdient – echt! Unglücklicherweise hat ihn das süchtig gemacht. Die Kugel im Kopf hat ihm schließlich nicht mehr gereicht, der brauchte danach noch was Stärkeres, weshalb er sich in der Badewanne ertränkt hat.
Daß Rudi aber die Revolution für seine Frau verraten hat, das ist nur Dein Wunschtraum, Rainer. Die Sache mit Uschi geht Dir wohl noch nach. Willst nicht der einzige sein, der... na und so weiter.
Nach uns kommen unsere schönen Kinder: oberflächlich, konsumgeil, geschichtslos. Die brauchen keinen Dritten Weltkrieg als ekstatische Initiation, denn – sagst Du – seit 30 Jahren gehen wir mit unseren Frauen – nach innen.
Ist der Krieg jetzt dort? Oder wie ist das mit der ekstatischen Initiation zu verstehen?
Na, jedenfalls ist alles bestens, wir haben gesiegt.
Du lebst schon in der vollkommensten aller denkbaren Welten. Weg mit der Politik! Wir haben doch schon alles.
In der taz vom 11.4.98 kommen aber auch immer noch die Versager, die Verlierer, die Miesmacher zu Wort. Johann von Rauch ist so einer. Er schreibt: „Kampf geht weiter“. Er plädiert doch tatsächlich für eine Erneuerung. Verlangt eine kritische Analyse des Alten, meint damit nicht nur die alten 68er, nein, unser Weltbild – gleichermaßen für Kapitalisten wie für Kommunisten gültig – soll auf den Prüfstand. Meint doch allen Ernstes den Materialismus. Der soll auf einer durch Relativitätstheorie und Quantenmechanik überholten Ja-Nein-Logik beruhen, uns dadurch im Wege stehen.
Dieser Looser will doch nicht etwa wieder mal an der Weltgeschichte drehen – gar unseren Kindern massenhafte Nahtoderfahrungen vorenthalten?!
Um Politik sollen sich gefälligst diejenigen kümmern, die für die breiten Straßen sorgen, auf denen unsere Kinder ihre Love Parades zelebrieren. Wir – die Alt-68er – haben damit nichts mehr am Hut. Haut weg den Scheiß! Wir sind auf dem Weg nach innen.
Sag mir, womit du „fun“ hast, und ich sage Dir, wer Du bist. Der Mensch ist sowieso nur ein Mythos, bestenfalls eine begnadete Nahtoderfahrung.
Sieg Heil! Es lebe unser Guru Rainer!
(Ich sammle schon mal Unterschriften dafür, daß Dich die Faschos nicht ganz umbringen, sondern zum Nahtod begnadigen.)
In Liebe Horst Mahler
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