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Das letzte Schiff der Wikinger

■ The Song Remains the same - die Wiedervereinigung der Led-Zeppelin-Veteranen steht ganz im Zeichen des neuen Wertekonservativismus. Anläßlich des Albums "Walking into Clarksdale" ein Gespräch mit Robert Plan

taz: Anläßlich eures letzten Albums habt ihr verkündet, euch endgültig vom Rock 'n' Roll zu verabschieden, um stärker mit Ethno- Musiken zu experimentieren.

Jimmy Page: Das stimmt so nicht. Viele unsere Stücke hatten von Anfang an Elemente in sich, die von indischer oder arabischer Musik beeinflußt waren. Unsere Idee bestand darin, diese Songs so darzubieten, daß ihre Wurzeln offenkundig wurden. Genau so haben wir sie dann arrangiert. Schließlich war es schon immer unser Traum, mit arabischen Musikern zu arbeiten.

Warum habt ihr diese Kollaboration nicht fortgesetzt?

Page: Weil wir mit diesem Projekt lange genug unterwegs waren. Die letzte Tour dauerte fast zwei Jahre. Außerdem erwartete jeder, daß wir genauso weitermachen.

Robert Plant: Wenn du 13 Monate lang mit einem riesigen Ensemble durch die Lande ziehst, sehnst du dich bald nach einer übersichtlichen Konstellation – etwa einer vierköpfigen Band.

Ich bin überrascht, wie offensichtlich sich euer neues Album „Walking into Clarksdale“ an Led Zep orientiert.

Plant: Also, ich finde das sehr erfrischend. Von daher ist an diesem Retro-Sound an sich auch nichts falsch. Du kannst mir glauben: Wir wußten genau, was wir wollten. Nimm nur diese Dynamik in „Blue Train“, die sich immer weiter entfaltet. Genau das ist es, was uns schon immer am meisten Spaß gemacht hat – du beginnst leicht melancholisch und wirst dann immer euphorischer, aber eben nicht zuviel. Ich mag es, wenn das Tempo variiert und die Stimmung umschlägt, ohne das Stück völlig zu verändern.

Andererseits stimmt ihr auf „Burning Up“ und „Sons Of Freedom“ sehr rauhe, fast grungige Töne an. Ist das Absicht?

Page: Nun, es sind eigentlich alles Aufnahmen, die wir in einem einzigen Take eingespielt haben – und das auch noch live. Zudem basiert alles, was du auf „Burning Up“ hörst, auf einer einzigen Gitarre. Wir haben einfach drauflosgerockt und es nicht einmal nachträglich bearbeitet.

Ist das der Grund, warum ihr den Produzenten Steve Albini verpflichtet habt?

Plant: Wir wollten halt nicht zu dick auftragen. Den Fehler haben wir in der Vergangenheit schon zu oft begangen. Durch unsere Solo- Alben mußten wir erfahren, daß sich die Zeiten geändert haben. Albinis Stil als Techniker kam unseren Vorstellungen sehr entgegen – er steht für einen ehrlichen, aufrichtigen Sound. Und genau den haben wir binnen kürzester Zeit erzielt, statt endlose Stunden im Studio zu verschwenden.

Ihr seid in den letzten zwei Jahren viel gereist – durch Südamerika, Afrika und die arabischen Staaten. Welchen Einfluß hat das auf euer Songwriting?

Page: In meinen Texten spielt vor allem der Nahe Osten eine Rolle. Es gibt dort viele unheilvolle politische Bewegungen, und das eigentlich schon seit Beginn der Zeitrechnung. Allerdings ist es für mich als Sänger in einer Rockband sehr gefährlich, explizite soziopolitische Aussagen zu machen. Ich muß vorsichtig sein, daß ich das, was ich sagen will, auch ambivalent rüberbringe – also ohne mich auf eine bestimmte Partei oder Meinung einzuschießen. Ganz allgemein haben mich meine Reisen aber viele Dinge in einem neuen Licht erkennen lassen – und das steht im krassen Gegensatz zu all den Propagandastatements, die von der BBC verbreitet werden. Die tendiert dazu, Dinge schönzufärben oder zu vereinfachen. Vor Ort merkst du dann, daß die Pressefreiheit eingeschränkt ist, politische Intrigen zur Tagesordnung zählen oder nur eine Meinung zugelassen wird. Dafür haben die Briten einfach keinen Blick – sie wollen es wohl nicht sehen.

Robert, bei unserem letzten Gespräch vor fünf Jahren war deine Beziehung zu Jimmy noch recht unterkühlt. Was hat das meterdicke Eis zwischen euch zum Schmelzen gebracht?

Plant: Nun, wir mußten erst einmal lernen, einander wieder mit Respekt in die Augen zu blicken. Es war aber nicht so, als wären wir verbitterte Feinde gewesen – wie zum Beispiel Chuck Berry und Bo Diddley. Die hatten ständig fürchterliche Auseinandersetzungen, wer im Falle eines gemeinsamen Auftritts als Headliner auftreten durfte. Sie haben sich richtig gehaßt. Jimmy und ich hingegen sind gleichberechtigte Headliner, von daher gibt es auch keinen Konflikt. Was die Vergangenheit betrifft: Das war im Grunde ganz allein mein Problem. Ich wollte endlich weg von Led Zep und hätte am liebsten jeden umgebracht, der mich ständig daran erinnern mußte, woher ich komme.

Wie kommt es, daß sich dein Verhältnis zu Led Zep inzwischen so grundlegend verbessert hat?

Plant: Weil ich ohnehin nichts dagegen machen kann. Eine Zeit lang hatte ich das Bedürfnis, ein bißchen Luft zu bekommen, sprich mal etwas Neues auszuprobieren. Ich war es einfach leid, daß die Medien sich mehr für meine Vergangenheit interessierten als für die aktuellen Soloprojekte. Das hat mich wirklich sehr belastet.

Habt ihr schon von „Velvet Goldmine“, dem kommenden Film von Michael Stipe gehört, der sich mit der Glam-Szene im L.A. Mitte der Siebziger beschäftigt? Muß eine tolle Zeit gewesen sein.

Plant: O ja, wir waren dabei – wenn auch nur für kurze Zeit. Aber Michael Stipe? Ich dachte, der würde sich nur mit Robben und Regenwäldern befassen.

Page: Ich liebe die Dekadenz dieser Zeit. Sie war einfach unglaublich komisch.

War das nicht eher so, daß ihr wie Hooligans am Sunset Strip eingefallen seid und Alkohol, Frauen und Geld en masse hattet?

Plant: Ich glaube nicht, daß wir das alles auf einmal hatten. Das müssen Jethro Tull gewesen sein! Ich kann mich nur daran erinnern, daß Jimmy damals ein wenig exzessiv war.

Page: Das war nicht exzessiv, sondern exzentrisch, Robert.

Plant: (lacht schallend) Ha, nach dem Wort habe ich gesucht! Damals dachte ich allerdings immer: „So kann es nicht weitergehen.“ Es waren großartige Zeiten – unglaublich exzessiv und lustig zugleich. Aber irgendwann wurde Spaß zum Klischee. Die Leute haben es darauf angelegt, ihre gesamte Energie auf einmal zu verpulvern. Im nächsten Moment war alles vergessen und vorbei.

Page: Genau so ist es mir auch ergangen. Als wir „The Song remains the same“ im New Yorker Madison Square Garden aufnahmen, war ich schon fünf Tage lang auf den Beinen – ohne jeglichen Schlaf. Und je länger die damalige Tournee dauerte, desto weniger Ruhe bekam ich. Das ist die Wahrheit! Es war mir einfach unmöglich, die Adrenalinuhr auszuschalten. Heute kann ich nicht mal daran denken, mir eine Nacht um die Ohren zu hauen!

Diese Zeiten waren also physisch wie psychisch ein Erlebnis?

Plant: Nach dem Vietnamkrieg hat die Musik einfach unglaubliche Energien freigesetzt. Amerika hat sich nur einen kurzen Moment der Ruhe gegönnt. Und genau das hat sich in einer Extravaganz und Dekadenz manifestiert, wie sie in Deutschland schlichtweg unmöglich gewesen wäre.

Du meinst, es war so etwas wie das Party-Zeitalter?

Plant: Genau. Die Leute wollten ihren Spaß haben, ganz egal, wann und wo. Es war völlig verrückt. Trotzdem: Die Leute von damals haben sich weiterentwickelt, sich anderen Dingen zugewandt. Als nächstes kamen die Glam-Rock-Jungs. Aber das war die reinste Farce. Sie haben nur aufgewärmt, was schon lange vor ihnen passiert ist. Ich vergleiche das am liebsten mit dem letzten Wikinger-Schiff, das Norwegen verließ und nicht mehr wußte, was bei einem Angriff nun eigentlich zuerst kommt – die Axt oder das Gebrüll. Du weißt, was ich meine.

Würdest du mir zustimmen, daß die heutige Popmusik doch eher langweilig ist?

Plant: Ja, mit dieser Formulierung habe ich kein Problem. Und weißt du auch, warum das so ist? Weil der ganze Britpop-Kram dieselben Akkord-Strukturen bemüht wie seinerzeit die Beatles. Das ist im Grunde vollkommen ausgereizt. Außerdem haben Squeeze und Let's Active schon vor zwölf Jahren eine ähnliche Phase durchgemacht – ihre Melodien waren 100prozentig Beatles. Heute ist es nicht anders. Mit dem Unterschied, daß es sich auch noch in der Mode niederschlägt. Plötzlich lichten Unmengen an neuen Fotografen irgendwelche pickeligen Kids für die Titelbilder sämtlicher Hochglanzmagazine ab. Fast so, als ob ein grauer Anorak der Kaufanreiz schlechthin wäre.

Aber diese Entwicklung ist doch längst rückläufig, oder?

Plant: Stimmt, langweiliger kann es eigentlich nicht werden. Und das ist auch der Grund, warum derzeit vor allem Radiohead und The Verve mit allen erdenklichen Auszeichnungen überschüttet werden – sie setzen sie eben merklich vom Rest ab.

Mal ehrlich: War das in eurer Zeit nicht genauso?

Plant: Ja schon, aber den heutigen Bands fehlt es halt an Phantasie. Die Wurzeln ihrer Musik sind einfach nicht so originell wie zu unserer Zeit.

Ist das der Grund, warum ihr diesen programmatischen Titel gewählt habt – „Walking into Clarksdale“?

Plant: Ganz genau. Clarksdale ist eine heruntergekommene Stadt am Mississippi, die ihr gesamtes Leben einbüßte, als plötzlich alle Blues-Musiker und große Teile der schwarzen Bevölkerung nach Chicago umzogen. Clarksdale war das letzte große musikalische Zentrum im Mississippi-Delta. Und während jeder andere die Flucht ergriffen hat, kehren wir dorthin zurück.

Also ist Clarksdale eine Metapher für London?

Plant: Exakt. Interview: Marcel Anders

Jimmy Page & Robert Plant: Walking into Clarksdale (Mercury)

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