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CannesCannesManches im Busch

■ Handgezimmerte Beziehungskisten: „Primary Colors“ und „Lulu on the Brigde“

Dem alten Joke vom Autofahrer, der sich eine Zigarette anzündet, um danach den elektrischen Anzünder wie ein Streichholz aus dem Fenster zu werfen, läßt sich eine aktuelle Variante abgewinnen: wenn Senator Jack Stanton (John Travolta) in „Primary Colors“ nach einem Telefonanruf stinksauer das Handy aus dem Auto ins Gebüsch wirft. Da die verdammten Dinger selbst während der Vorführung ständig piepsen und klingeln, hofft man dringend, daß die Presseleute das gleiche tun. Allerdings fehlen im Festivalgebäude die Büsche.

In den Vereinigten Staaten ist der Film inklusive Medienrummel ja schon durch. Ein Kassenknüller wurde er trotzdem nicht. Also lautete die erste Frage auf der Pressekonferenz, die an John Travolta ging, ob er wisse, warum „Primary Colors“ gefloppt sei. Travolta fand das Einspielergebnis gar nicht so schlecht. Auch Regisseur Mike Nichols' Einlassungen führten bloß zu ein paar Lachern. Dabei ist die Frage nach dem mangelnden Erfolg bei „Primary Colors“ tatsächlich nicht so einfach zu beantworten.

Wenn der Eröffnungsfilm „Lulu on the Bridge“ in der Reihe „Un Certain Regards“ durchfiele, sollte das jedenfalls weit weniger wundern. Paul Auster schrieb das Buch, wobei er seinem Freund Wim Wenders die Rolle des Regisseurs zugedacht hatte. Doch der riet Auster – nach seiner Zusammenarbeit mit Wayne Wang bei „Smoke“ und „Blue in the Face“ –, selbst die Regie zu übernehmen. Es ist auch ganz ohne Wenders ein Wenders- Film geworden. Okay, Wenders wären noch ein paar interessantere Einstellungen eingefallen, aber Austers Idee von der ebenso mysteriösen wie banalen Liebe zwischen dem Jazzsaxophonisten Izzy Maurer und der Schauspielerin Celia Burns liegt ziemlich genau auf dem Niveau Wendersscher Einbildungskraft. Izzy wird bei einem Auftritt angeschossen, nach seiner Genesung findet er die Leiche eines Mannes, dessen Aktentasche er an sich nimmt. In ihr findet sich eine Telefonummer und ein Stein. Die Nummer führt ihn zu Celia. Beim Betrachten des Steins verlieben sich die beiden ineinander, was vor allem Mira Sorvino (Oscar-Gewinnerin mit Woody Allens „Mighty Aphrodite“) schauspielerisch erheblich unterfordert. Denn außer brav, will heißen: verliebt zu gucken, bleibt ihr nicht viel zu tun.

Kennengelernt hat Auster seine Hauptdarstellerin bei den letzten Filmfestspielen in Cannes, als sie beide in der Jury saßen. Die wurde gestern auch pressekonferenzmäßig vorgestellt, Martin Scorsese präsidiert, unterstützt von den Damen Chiara Mastroianni, Lena Olin, Winona Ryder, Zoe Valdes und Sigourney Weaver sowie den Herren Chen Kaige, Alain Corneau, MC Solaar und Michael Winterbottom.

Es ist übrigens Susan Stanton (Emma Thompson), die Frau des Senators, die das Handy im Buschwerk wiederfindet. Warum Susan Stanton auf ihren Mann fast ständig sauer sein sollte — und es doch nur selten wirklich ist —, spiegelt in nuce noch einmal wider, warum der Kerl ein politischer Erfolg sein muß. Vielleicht ist „Primary Colors“ sogar deshalb gefloppt, weil Susans Geschichte der ständigen Frustrationen, aber auch der ständigen Ermutigung durch ihren Alten am Ende verlorengeht und durch die allzu handfeste moralische Fabel von der Wahlkampfhelferin, die sich umbringt, weil ihr Stantons Wahlkampfmethoden zu rüde sind, ersetzt wird. Emma Thompson jedenfalls fand ihre Rolle in dem Moment spannend, als ihr klar wurde, wieviel Selbstironie in ihr steckt. Sagte sie auf der Pressekonferenz, auf der auch jener anonyme Starreporter Joe Klein zugegen war, der die Bestsellervorlage nach Bill Clintons Wahlkampf 1992 geschrieben hat. Das macht den Unterschied von Cannes zu Berlin aus: Die Promis kommen ohne Wenn und Aber.

Brigitte Werneburg

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