: Abiolas Mythos einigt und spaltet zugleich
Fünf Jahre nach den letzten freien Wahlen in Nigeria, die vom Militär annulliert wurden, wird der inhaftierte Wahlsieger Moshood Abiola politisch instrumentalisiert. Die Ereignisse des 12. Juni werden neu bewertet ■ Von Dominic Johnson
Lagos/Berlin (taz) – Die Straße ist frisch geteert, das Haus von Modupeola Onitiri Abiola („Dupe“), eine der Ehefrauen des inhaftierten nigerianischen Politikers Moshood Abiola, ist weder besonders überwacht noch besonders gesichert. Zumindest in Lagos respektiert Nigerias Staat manchmal seine Gegner.
„Meinem Mann geht es schlecht“, berichtet Dupe Abiola über den Zustand des Siegers der nigerianischen Präsidentschaftswahl vom 12. Juni 1993, die vom Militär annulliert wurde. „Er wird andauernd ins Krankenhaus verlegt und wieder hinausgenommen, und man hat Dinge diagnostiziert, die er früher nicht hatte: Diabetes, geschwollene Füße, extreme Sehschwäche, Kreislaufprobleme. Manchmal hat er auch Malaria.“ Weder Verwandte noch sein Hausarzt dürften den in Nigerias Hauptstadt Abuja einsitzenden Moshood Abiola besuchen.
Abiola, einer der reichsten Geschäftsleute Nigerias, war nach allgemeiner Auffassung Sieger der letzten Präsidentschaftswahl des Landes, die am 12. Juni 1993 stattfand und als fairste und freieste der nigerianischen Geschichte gewertet wurde. Die Wahl, mit der der damalige Militärdiktator Ibrahim Babangida seinen Demokratisierungsprozeß abschließen wollte, wurde vom Militär annulliert. Zum ersten Jahrestag seines Wahlsiegs erklärte sich Abiola zum Staatschef und wurde inhaftiert.
Abiolas Freilassung und die Respektierung seines Wahlsieges sind bis heute die Hauptforderungen der nigerianischen Demokratiebewegung. „Abiola muß sein Regierungsmandat bekommen“, sagt Abraham Adesanya, Führer des Oppositionsbündnisses „National Democratic Coalition“ (Nadeco). „Niemand anders als er hat heute ein Mandat, das Land zu regieren.“ Der stereotyp geäußerte Wunsch der Opposition ist, daß die Militärs Abiola bitten, eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden. Diese soll zwei bis vier Jahre amtieren und eine Nationalkonferenz aus allen politischen Kräften einberufen, um eine wahrhafte Demokratisierung einzuleiten.
Zum heutigen Jahrestag der Wahl, nur vier Tage nach dem plötzlichen Tod von Diktator Abacha, haben Oppositionsgruppen wie Nadeco und das Aktionsbündnis „United Action for Democracy“ (UAD) erneut zu Massenprotesten aufgerufen. Nadeco erklärte, die „sofortige“ Abgabe der Macht durch das Militär sei „die minimale Bedingung für eine nationale Versöhnung und das Vermeiden eines Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung“.
Allerdings hat sich die Einschätzung der Bedeutung von Abiolas Wahlsieg in Oppositionskreisen seit 1993 verändert. Damals wurde sein Sieg als Beweis dafür gefeiert, daß Nigeria seine tribalistischen Konflikte hinter sich gelassen habe: Abiola, ein Muslim aus dem mehrheitlich nichtmuslimischen südnigerianischen Yoruba-Volk, hatte in allen Teilen des Landes eine Mehrheit errungen. Doch heute definieren viele Oppositionelle den 12. Juni nach ethnischen Kriterien um. Abiolas Sieg war ein Sieg des Südens über den traditionell herrschenden Norden, erklärt der prominente Rechtsanwalt und Oppositionsführer Gani Fawehinmi: „Der 12. Juni war das erste Mal seit 1914 (Gründung Nigerias als britische Kolonie, d.Red.), daß Nigeria beschloß, die Macht zu verlagern.“
Für Udenta o Udenta, Sprecher der ostnigerianischen „Eastern Mandate Union“ (EMU), bedeutet der 12. Juni vor allem, daß Nigerias nächster Präsident aus dem Süden stammen muß. Sollte ein Politiker aus dem Norden die nächste Wahl gewinnen, wäre dies unannehmbar. Auch die gewünschte „souveräne Nationalkonferenz“ zur Demokratisierung wird zunehmend als Forum zur friedlichen Aufteilung Nigerias dargestellt.
Hinzu kommen Spaltungen in der Abiola-Familie. In den letzten Wochen zirkulierten Gerüchte, die Militärjunta sei bereit, Abiola als Premierminister in eine neue Übergangsregierung aufzunehmen. Eine von Abiolas Ehefrauen, Titi Abiola, machte sich zum Sprachrohr dieser Bestrebungen und wurde dafür von den anderen politisch aktiven Ehefrauen Dupe und Bisi kritisiert. „Leute sagen Dinge aus finanziellen Gründen“, sagt Dupe Abiola und behauptet, Moshood Abiola habe das Angebot „schon abgelehnt“.
Die prominenteste Abiola- Frau, Kudirat Abiola, steht für eine Richtungsentscheidung nicht mehr zur Verfügung: Sie wurde am 4. Juni 1996 in Lagos auf offener Straße erschossen und ist zu einer Märtyrerin der Demokratiebewegung avanciert. Das Untergrundradio der Opposition heißt „Radio Kudirat“, und Kudirats Tochter Hafsat, Studentin in den USA, hat ein „Kudirat-Institut für nigerianische Demokratie“ (KIND) gegründet. Aber all diese Stimmen sind noch schwach. Der Eindruck bleibt, daß der Name Abiola fünf Jahre nach dem 12. Juni 1993 instrumentalisiert wird. Selbst wenn Nigerias neuer Präsident ihn jetzt freiließe – die Opposition wäre wohl über ihn heillos zerstritten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen