: „Kosovo ist mit Bosnien nicht zu vergleichen“
■ Bruno Schoch, Leiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, über die begrenzten Möglichkeiten einer friedlichen und einer militärischen Beilegung des Kosovo-Konflikts
taz: Die Nato-Verteidigungsminister beraten über mögliche militärische Schritte im Kosovo- Konflikt. Unter welchen Bedingungen wäre eine solche Intervention legal?
Bruno Schoch: Sie ist ausschließlich unter der Bedingung zulässig, daß der UN-Sicherheitsrat einen entsprechenden Beschluß faßt. Voraussetzung dafür ist, daß der Konflikt im Kosovo eine Gefährdung des Friedens bedeutet. Das kann die UNO begründen, denn der Konflikt hat Auswirkungen in Makedonien, womöglich auch auf Bosnien und selbstverständlich auf Albanien. Der Sicherheitsrat könnte folglich, wie im Golfkonflikt, ein Mandat erteilen – zum Beispiel der Nato.
Ohne die Zustimmung Rußlands geht es nicht?
Nein, die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates müssen zustimmen, beziehungsweise Rußland und China können sich auch enthalten.
Halten Sie es für denkbar, daß Rußland eine militärische Intervention im Kosovo befürwortet?
Das ist schwer zu sagen. Es hat offenbar Versuche bei den deutsch-russischen Gesprächen gegeben, Jelzin zu einem entsprechenden Votum zu bewegen. Es sieht zur Zeit nicht danach aus. Aber ich würde es auch nicht ausschließen, denn die russische Führung weiß auch, wie gefährlich die Situation ist.
Glauben Sie, daß der serbische Präsident Milošević einer friedenserhaltenden Maßnahme, einem Blauhelmeinsatz zustimmen würde?
Das ist völlig ausgeschlossen. Serbien hat vor wenigen Monaten ein Referendum durchgeführt, bei dem sich die Bevölkerung sogar gegen den Einsatz eines Vermittlers ausgesprochen hat.
Also wäre nur eine friedenserzwingende Maßnahme denkbar. Könnte mit einer solchen Intervention die Voraussetzung für eine friedliche Konfliktregelung geschaffen werden?
Das ist die große Frage. Es wird zwar von manchen gesagt, die Situation im Kosovo sei der in Bosnien vergleichbar. Ich habe da aber meine Zweifel. Der Kosovo war immer ein Apartheidsregime, in Bosnien waren es drei Völker, die sich auch als Jugoslawen definiert haben. Im Kosovo haben wir zwei Parteien. Die eine radikalisiert sich jetzt, nachdem sie sechs Jahre lang vorbildlichen passiven Widerstand geleistet hat und alle Appelle nichts gefruchtet haben. Die andere Seite ist der serbische Mythos vom Kosovo. Das steht gegeneinander. Welchen Beitrag kann eine militärische Maßnahme leisten, um die Waffen zum Schweigen zu bringen? Ich sehe ihn nicht.
Was würde nach einer Intervention passieren?
Die Albaner im Kosovo würden das als Signal auffassen: Jetzt oder nie. Das hätte Auswirkungen sowohl auf die albanische Minderheit in Makedonien als auch auf Bosnien. Warum sollen die Völker in Bosnien zusammenbleiben, wenn gleichzeitig die Teilung im Kosovo weiter betrieben wird, und das mit Unterstützung der Nato? Das würde in Bosnien jene stärken, die sich Serbien oder Kroatien anschließen wollen. Man kann zudem nicht davon ausgehen, daß durch eine militärische Intervention in Serbien ein höheres Maß an Kompromißbereitschaft erzielt wird. Die Leute werden sich um Milošević scharen.
Welche nichtmilitärischen Möglichkeiten der Einflußnahme gibt es statt dessen?
Eine Möglichkeit ist die Einflußnahme Rußlands. Die ist allerdings begrenzt. Die andere ist die militärische Drohkulisse, die die Nato jetzt aufbaut. Möglicherweise führt das innerhalb Jugoslawiens dazu, daß die politischen Widerstände größer werden. Serbien ist ziemlich am Ende. Die Lust, einen Krieg mit der Nato zu führen, ist, bei allem Irrationalismus, den man berücksichtigen muß, vielleicht doch nicht so groß.
Wenn diese Annahme stimmt, dann würde doch eine direkte militärische Intervention Milošević noch stärker destabilisieren.
Das kann ich schwer beurteilen.
Wenn Sie zwischen dem Leid der Flüchtlinge und den schwer kalkulierbaren Folgen einer Intervention abwägen müßten – wie lautete Ihre Entscheidung?
Ich bin froh, die Entscheidung nicht treffen zu müssen. Interview: Dieter Rulff
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