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Fünf Finger auf sechs Saiten

■ Wie Clarence Brown im Tempodrom aufspielte? Na, ass-kicking-fit wie eh und je natürlich

Als Clarence „Gatemouth“ Brown sah, daß seine Konzertserie als „Blues“ angekündigt worden war, ging ihm vor Ärger schon wieder fast der Cowboyhut hoch. Er wehrt sich vehement gegen musikalisches Schubladendenken. Das äußert sich seit Jahrzehnten schon in seinem Äußeren. Am Mittwoch empfing ihn trotz Verspätung herzlicher Beifall im nur zu einem Drittel gefüllten Tempodromzelt (Fernsehfußball, kühles Wetter?). Er trug einen breitkrempigen schwarzen Stetson-Hut, ein schwarzes Cowboyhemd, dunkelgraue Jeans mit Bügelfalte und schwarze „ass-kicking“-Stiefel.

Nach zehn Jahren Reise um den Globus fokussiert sich das elfte zweimonatige „Heimatklänge“- Festival dieses Mal auf den fast noch von äußeren Einflüssen unberührten kulturellen Mikrokosmos in Louisiana, New Orleans und Ost-Texas. Clarence Brown war von Geburt an ein Grenzgänger: In Vinton, West Louisiana, geboren, zogen seine Eltern eine Woche nach der Niederkunft zwölf Meilen westlich nach Orange, Texas. Sein Vater war als Fiddling Tom bekannt. Ab dem fünften Lebensjahr lernte Clarence Geige- und Gitarrespielen, mit 17 war er singender Schlagzeuger bei den Gay Swingsters. Im Jahr darauf trampte er nach Houston, um sich für eine Plattensession vorzustellen. Als dort der Bluesgitarrist T-Bone Walker wegen plötzlicher Übelkeit seinen Auftritt unterbrach, schnappte Brown sich dessen Gitarre und bekam nach einem 15minütigen Instrumentalboogie 600 Dollar Trinkgeld! Kurz danach, im August 1947, nahm er seine ersten Platten auf. „Atomic Energy“, „Boogie Uproar“ und vor allem „Okie Dokie Stomp“ gehören noch heute zu den schnellsten und besten Saitenattacken aus Texas: bluesige Gitarrenläufe vor einer kochenden Jazzband. Sein breites Lächeln brachte ihm den Spitznamen „Gatemouth“ ein. In den 60er Jahren erweiterte Brown sein Spektrum um Cajun, Western Swing, Bluegrass. Ein Grammy auf dem Kaminsims ist der Lohn für seinen Stilmix. Seit Anfang der 70er Jahre reiste er um die Welt.

Kurz winkte der hagere Brown zur Begrüßung ins Publikum, griff sich seine Gibson-Firebird-Brettgitarre und legte mit „Bits and Pieces“ los. Neben seinem Western- Outfit (klischeebildende Hollywoodfilme verschwiegen, daß ein Drittel der Cowboys Schwarze waren) fiel sofort seine Fingerakrobatik auf: Ohne Hilfsmittel wie Plektrum oder Pick flogen alle fünf Fingerkuppen gleichzeitig über die sechs Saiten. Der 74jährige war fit wie eh und je. Er ließ Ellingtons „A Train“ im Expresstempo abfahren, brachte den Ohrwurm „Honky Tonk“ in neuem Arrangement, adaptierte Titel von Count Basie. Dem runden Saxophonisten Eric Demmer und Joe Krown an der Hammondorgel gewährte Brown viele solistische Freiräume, zündete sich derweil mal sein Pfeifchen an. Nur wenige Titel waren gesungen, und sogar einen waschechten Blues hatte er im Programm. Seine Paradestücke aber waren die Geschwindigkeitsbrecher „Pressure Cooker“ und das gegeigte „Up Jump The Devil“: Jeder Nashville-Fiddler erblaßt vor Neid. Gatemouth Brown ist die Addition von Einfallsreichtum und brillanter Technik – er ist schlichtweg der beste amerikanische Gitarrist. Eine Institution. Norbert Hess

„Heimatklänge“, bis Samstag ab 21.30 Uhr, Sonntag ab 16 Uhr, Tempodrom, in den Zelten im Tiergarten

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