: Afrikanische Harfe
Die schwarze Alternative zum Grammy: In Sun City, dem Las Vegas Südafrikas, wurden die Kora Awards vergeben – ein Medienevent auf der Suche nach Publikum ■ Von Wolfgang König
„Sun City is an Africaner's paradise in a black man's nightmare“, Sun City ist ein Burenparadies in einem Alptraum der Schwarzen, meinte 1982 der Musiker Eddie Amoo. Drei Jahre vorher war Afrikas Las Vegas aus dem Steppenboden des Homelands Bophuthatswana gestampft worden, denn die strenge protestantische Moral des burischen Apartheidstaates ließ Glücksspiel und Shows mit fast unbekleideten Tänzerinnen eigentlich nicht zu.
Sol Kerzner, 1935 als Kind russischer Immigranten in Johannesburg zur Welt gekommen und in der Hotelbranche tätig, hatte mit Sun City die lukrativste Idee seines Lebens: zweieinhalb Autostunden von Johannesburg und Pretoria entfernt in der formal unabhängigen „Republic of Bophuthatswana“ (also im „Ausland“) einen gigantischen Spiel- und Vergnügungskomplex zu errichten, Herzstück des Kerzner-Imperiums, das heute mehr Umsatz macht als alle schwarzen Unternehmer Südafrikas zusammen.
In dieser glitzernden, von künstlichen Bächen, Teichen und Wasserfällen durchzogenen Phantasiewelt mitten in einer der trockensten und ärmsten Regionen Südafrikas wurden am vergangenen Samstag die Kora All Africa Music Awards verliehen, die sich mittlerweile als afrikanische Alternative zum US-dominierten Grammy etabliert haben.
Ernest Coovi Adjovi, Geschäftsmann aus Benin und passionierter Musikfreund, hatte als Honorarkonsul der Elfenbeinküste in Windhoek die Grammy-Verleihung im namibischen Fernsehen verfolgt. Die praktisch nicht vorhandene Präsenz afrikanischer Künstler bei diesem Spektakel inspirierte ihn zu der Idee, ein Äquivalent für die Musiker seines Kontinents zu schaffen. Das Harfeninstrument der westafrikanischen Barden, die Kora, avancierte zum Symbol des Preises, nicht zuletzt wegen des eindeutigen Zusammenhangs von Schriftbild und Aussprache auch für Nicht-Insider. Adjovi entschied sich für Südafrika, das von der Infrastruktur her geeignetste Land, verkaufte seine Zuckerfabrik im Norden Namibias und finanzierte so im Oktober 1996 die Verleihung der ersten Kora All Africa Music Awards in der Johannesburger Standard Bank Arena.
Auf der Suche nach Sponsoren wurde Adjovi dann, unter anderem, ausgerechnet beim Management von Sun City fündig, jenem Symbol des Rassismus also, das 1985 durch die internationale Musikerinitiative „Artists United Against Apartheid“ weltbekannt wurde. Mit exorbitanten Gagen hatte man versucht, internationale Stars in die Glitzerwelt am Pilanesberg zu locken – bei Frank Sinatra, Elton John und manch anderen mit Erfolg, doch Little Steven, Miles Davis, Bonnie Riatt, Jimmy Cliff, Bono, Ruben Blades und viele ihrer KollegInnen starteten dagegen ihre Boykott-Initiative mit dem Song „I Ain't Gonna Play In Sun City“. Mittlerweile ist es jedoch allgemein akzeptiert, dort aufzutreten, und so trifft sich hier die Creme der afrikanischen Musikszene und -industrie einmal im Jahr, um sich selbst zu feiern.
In vierzehn Kategorien wurde der Preis diesmal verliehen, gegliedert nach Regionen und nach Kategorien wie „Bestes Arrangement“, „Vielversprechendster Künstler“ oder „Beste afrikanische Band“. Daß 1998 kein Preis für die Region Ostafrika vergeben wurde, offenbarte eines der Handicaps des ganzen Projekts: Voraussetzung für eine Nominierung ist, daß die Plattenfirma des Künstlers eine aktuelle CD ebenso wie ein Video an eines der beiden Kora- Büros in Paris bzw. Johannesburg schickt. Doch nur die wenigsten Musiker Afrikas dürften über beides verfügen – und eben niemand aus dem Osten des Kontinents.
Aus den eingegangenen Bewerbungen stellte ein Vorauswahlkomitee unter dem kongolesischen Altstar Ray Lema vier bis fünf Acts pro Kategorie zusammen. Wer davon den Preis in Form einer kleinen goldenen Kora wirklich bekam, darüber entschied eine Jury unter dem Vorsitz von Angelique Kidjo, die im letzten Jahr zur besten Künstlerin Afrikas gekürt worden war. Die Auswahl der Kandidaten allerdings löste bei Kennern teilweise Befremden aus. Denn warum etwa der nigerianische Juju-Altmeister King Sunny Ade unter die Rubrik „Traditionelle Musik“ fiel oder für den Newcomer-Preis der „Vielversprechendsten Künstlerin“ mit Brenda Fassie und Jennifer Jones aus Südafrika zwei Sängerinnen nominiert wurden, die seit mehr als fünfzehn Jahren auf der Szene sind und den Höhepunkt ihrer Karriere bereits eindeutig überschritten haben, war kaum nachzuvollziehen. Auch wenn es stimmt, daß mit dem Spektakel der Kora Awards in erster Linie mehr globale Aufmerksamkeit für die Musik Afrikas allgemein erzeugt werden soll und die konkreten Gewinner daher letztendlich nebensächlich sind – solche Ungereimtheiten sind der Reputation der Kora Awards nicht unbedingt zuträglich.
Bei der Vergabe des Regionalpreises für Zentralafrika wagte man in diesem Jahr ein Experiment, denn die Stimmen der Jury zählten nur zu 50 Prozent. Die andere Hälfte sollten die Fernsehzuschauer der per Satelliten-TV afrikaweit übertragenen Veranstaltung mittels TED beisteuern. Über tausend Anrufe aus diversen Ländern gingen ein und bestätigten die Wahl der Jury: Koffi Olomide aus Kongo/Kinshasa. Sichtlich gerührt nahm der Sänger seine Kora entgegen und widmete sie den Opfern des, wie er sagte, „idiotischen Krieges in meinem Land“, über dessen Beendigung gerade 1.000 Kilometer nördlich von Sun City, an den Victoriafällen, verhandelt wurde.
Nicht nur bei dieser Gelegenheit zeigte sich Afrikas Musikerelite bestrebt zu demonstrieren, daß die Kora-Verleihung keine von der afrikanischen Realität abgehobene Veranstaltung war. „One Billion Against AIDS“ heißt das Vorhaben, mit dem durch Spenden der Kora-Sponsoren und Benefizkonzerte der Preisträger bis zum November '99 (dann werden die nächsten Awards vergeben) eine Milliarde französische Franc zusammengetragen werden sollen zur Unterstützung von Projekten gegen die Immunschwäche, die in weiten Teilen Afrikas aus Mangel an Geldern für Aufklärung und medizinische Betreuung zu einer der häufigsten Todesursachen geworden ist.
Über die Anti-Aids-Konzerte soll außerdem ein Teil der panafrikanischen Komponente der Kora Awards realisiert werden. Denn afrikanische Musik wird oft genug nur außerhalb des Kontinents als solche wahrgenommen. Den Extremfall verkörpert Südafrika: Aufgrund des jahrelangen Kulturboykotts gegen den Rassistenstaat und der Apartheidstruktur des Radiosystems (für jede ethnische Gruppe existierte ein Sender, der ausschließlich die Musik der jeweiligen Gruppe und bestenfalls noch die britischen und US-Top-Twenty spielte), kannte man am Kap außer den eigenen Künstlern vielleicht noch ein paar Bands aus Mosambik oder Simbabwe, aber alles nördlich davon war musikalische Terra incognita. Daran hat sich bis heute nur wenig geändert, auch wenn Stars wie Salif Keita, Angelique Kidjo oder Manu Dibango in Johannesburg, Durban oder Kapstadt auf eine wachsende Fangemeinde bauen können.
Aber auch anderswo in Afrika ist die Lage nicht wesentlich besser. Wer in Kenia hat schon von Baaba Maal gehört? Wer in Algerien von Femi Kuti? In bescheidenem Umfang versucht man mit den Kora Awards hier Abhilfe zu schaffen; nicht nur mit der Live- Übertragung der Verleihung in alle Staaten des Kontinents, sondern auch dadurch, daß jeder Preisträger aufgefordert ist, für das Benefizkonzert zugunsten des Anti-Aids-Projektes in seinem Land zwei oder drei KollegInnen einzuladen, die ebenfalls aktuelle oder frühere Kora-Gewinner sind. Für jeden Monat zwischen Februar und November 1999 ist ein solches Mega-Konzert irgendwo in Afrika geplant. Und eine gemeinsame CD möglichst vieler Kora-Preisträger soll weitere Mittel für „One Billion Against AIDS“ erwirtschaften.
Noch ist die Verleihung der Kora Awards vor allem ein Medienereignis, mit kaum tausend zahlenden Zuschauern vor Ort, da alle anderen Plätze im Superbowl von Sun City für Künstler, Journalisten, Vertreter von Plattenfirmen und Sponsoren reserviert sind. Die Benefizkonzerte könnten den Live-Charakter stärken und der Entwicklung einer gesamtafrikanischen Identität dienen.
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