: Der unpopuläre Obuchi trifft den kranken Jelzin
■ Im japanisch-russischen Streit um die Kurilen-Inseln zeichnet sich erstmals ein Kompromiß ab. Japans Premier Keizo Obuchi will per Moskaureise sein angeschlagenes Image aufpolieren
Tokio (taz) – Japan und Rußland ähneln sich gegenwärtig. Denn beide Länder stecken in einer schweren Wirtschaftskrise und haben machtlose Staatsoberhäupter. Mit Keizo Obuchi, Japans unpopulärstem Premier, ist seit Mittwoch erstmals nach 25 Jahren wieder ein japanischer Premier zu einem offiziellen Besuch in Moskau. Für ihn ist das Treffen mit dem kränkelnden Präsidenten Jelzin eine Gelegenheit, um sein Image zu Hause aufzubessern. Im Gepäck hat Obuchi einen Kompromißvorschlag über die umstrittenen Kurilen-Inseln im Norden Japans. Tokio fordert nicht mehr die sofortige Rückgabe der von Rußland 1945 besetzten Inselgruppe. Statt dessen will er über eine neue Grenzziehung und die von Rußland vorgeschlagene gemeinsame wirtschaftliche Förderung der Inseln diskutieren. Das soll den Weg für einen längst fälligen Friedensvertrag zwischen beiden Mächten ebnen. In Moskau sicherte ihm gestern Jelzin einen „aktiven Dialog“ um die Zukunft der Inseln zu. Beide einigten sich auf die Einrichtung einer Expertenkommission, die weitere Schritte klären solle.
Die südlich von Sachalin und nördlich der Insel Hokkaido gelegenen Kurilen lassen bis heute die nationalistischen Gefühle konservativer Japaner hochgehen. Die Inseln gelten für ältere Japaner als territoriales Eigentum, das heimgeholt werden sollte. Junge Japaner sehen dagegen den Streit um die abgelegenen Inseln nur als historische Fußnote, die per Kompromiß abgehakt werden sollte. Rußland ist für Japan längst keine Bedrohung mehr. Nord-Korea und China stehen heute im Zentrum der Sicherheitsbedenken. „Für Japan ist die Rußlandkarte eminent wichtig“, sagt Shigeki Hakamada, Rußlandexperte der Aoyama Gakuin Universität in Tokio. Seitdem Tokio Gespräche mit Moskau führe, baue auch die Pekinger Führung mit Tokio einen konstruktiven Sicherheitsdialog auf. Für die Sicherheit in Nordostasien, die von gelegentlichen Raketentests und U-Boot-Infiltrationen Nord-Koreas gestört werde, sei eine gute Koordination zwischen Moskau, Tokio und Peking künftig vital, sagt Hamanaka. Die Kurilen-Frage hat damit eine Schlüsselfunktion.
Die 16.500 Kurilen-Bewohner forderten kürzlich in einer Petition, unter japanische Administration gestellt zu werden. Japaner finanzierten vor einem Jahr auf einer der Inseln eine Fischverarbeitungsfabrik, die 300 Einwohnern eine neue Existenzgrundlage bietet. Deshalb genießt Japan heute großes Prestige unter der Bevölkerung. Noch vor zehn Jahren planten japanische Immobilienspekulanten auf den Kurilen Spielsalons. Heute möchte Nippons Fischindustrie die Gewässer um die Inseln nutzen. Moskau erwägt dagegen die Einrichtung einer Wirtschaftszone, die von beiden Staaten gemeinsam genutzt werden sollte. Moskau bliebe de facto Eigentümer der Inseln, die von Japan verwaltet würden. André Kunz
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