piwik no script img

Eine Fußnote für die Umwelt

Auf dem Gipfel in Wien geht es um die Zukunft der Europäischen Union. Doch wichtige Themen wie ein ökologisches Integrationskonzept werden übersehen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

In der Europapolitik kann Bundeskanzler Gerhard Schröder machen, was er will, der dicke Schatten von Helmut Kohl verfolgt ihn. Er wird ihn auch beim EU-Gipfel heute und morgen in Wien nicht los: Kohl ist da, denn die Staats- und Regierungschefs wollen ihm die Auszeichnung „Europäischer Ehrenbürger“ persönlich umhängen. Der österreichische Präsident Thomas Klestil lädt alle zusammen in die Hofburg ein, da gibt's dann auch was zu Essen. Bei den Verhandlungen muß Schröder allerdings allein zurechtkommen. Die anderen Regierungschefs werden das wahrscheinlich nicht gleich merken, weil Schröder genau dasselbe sagen wird, was Kohl ihnen immer eingebleut hatte: Deutschland möchte weniger an die EU zahlen.

Da sind sie dann gleich mitten drin in dem viele hundert Seiten dicken Papier, das die österreichische Regierung zur Agenda 2000 vorbereitet hat, dem Programm zur Runderneuerung der EU. Die künftige Finanzierung der EU ist dabei nur ein Teil, daneben geht es auch um die Reform der Agrarpolitik und die Vorbereitung der Osterweiterung. Leider hängt das alles irgendwie zusammen, weshalb es die Österreicher nicht geschafft haben, den ganzen Brei in kleine Häppchen mit konkreten Lösungsoptionen aufzuteilen, über die man sinnvoll reden könnte: Gibst du an dieser Stelle der Agrarpolitik nach, verzichte ich auf meinen Beitragsrabatt, legst du dich bei der Osterweiterung quer, leg' ich mich beim Kohäsionsfonds quer.

In den vergangenen Tagen haben Bonner Emissäre deshalb schon böse herumgemosert. Denn zum Jahresende übergibt Austria den EU-Vorsitz turnusgemäß an Deutschland, und wenn es in Wien nicht gelingt, ein paar Vorentscheidungen zur Agenda 2000 zu treffen, hat die neue Bundesregierung ein Problem. Bis spätestens März muß geklärt sein, welche Agrarsubventionen gekürzt, wie die Osterweiterung finanziert und wessen Geldbeutel dabei geschont werden sollen. Bonn hat da konkrete Vorstellungen, kann sie aber nur noch jetzt mit aller Härte vorbringen. Ab 1. Januar ist die Bundesregierung als EU-Vorsitzende gehalten, die eigenen Interessen zurückzustellen und sich auf die Kompromißsuche zu konzentrieren. So etwas kann teuer werden.

In Wien wird deshalb neben der Agenda 2000 nicht allzuviel Zeit für die Beschäftigungspolitik bleiben. Eigentlich sollten die Regierungen die bisherige Umsetzung der nationalen Beschäftigungsprogramme in den einzelnen Ländern beurteilen und sich zu größeren Leistungen antreiben. Aber die Finanzminister haben schon signalisiert, daß sie lieber darüber reden wollen, wie man die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern könnte. Weil das genauso wolkig ausfallen dürfte wie es sich anhört, wird das ganze Beschäftigungspakt genannt, das klingt wenigstens entschlossen.

Die interessanten Themen werden bei solchen Gipfeln meist nur als Fußnoten abgehandelt. In Wien stehen drei Berichte zur Integration der Umweltpolitik im Energie-, Verkehrs- und Agrarbereich an. Vor einem halben Jahr, auf dem EU-Gipfel in Cardiff, hatten die Staats- und Regierungschefs die drei Fachministerräte beauftragt, konkrete Vorschläge zu machen, wie sie den Umweltschutz in ihren Bereichen stärker berücksichtigen wollen. Dahinter steht die Erkenntnis, daß eine nachhaltige Entwicklung nur möglich ist, wenn alle Politikbereiche den Umweltgedanken integrieren. Dies bedeutet, daß beispielsweise Verkehrsminister Umweltziele definieren sollen, die bei Entscheidungen zu berücksichtigen sind.

Als erstes sind dafür Indikatoren zu definieren, an denen man die Erfolge oder Mißerfolge messen kann. Es reicht nicht, von der Verbesserung der Luftqualität in den Städten zu reden, als Basis für politisches Handeln ist es wichtig, daß sich die Minister darauf einigen, an welchen Schadstoffen sie die Luftqualität messen. Erst dann kann man Ziele setzen und Strategien entwickeln, wie diese Ziele zu erreichen sind. Vor allem aber ist es dann möglich, die Auswirkungen der Verkehrsentscheidungen auf die Umwelt einigermaßen präzise vorauszuberechnen.

Umweltverbände wie der Deutsche Naturschutzring (DNR) fordern ein solches Integrationskonzept schon lange und sehen in den Ansätzen der EU einen beachtlichen Fortschritt. Allerdings, so Anja Köhne vom DNR, hätten nur die Energieminister die Aufgabe wirklich ernst genommen. Konsequenterweise taucht in deren Bericht auch die Energiesteuer als entscheidendes Instrument zur Erreichung der gesteckten Umweltziele auf. Enttäuschend sei dagegen das Ergebnis der Verkehrsminister, die mit dem Nachdenken kaum angefangen hätten, damit aber immer noch meilenweit vor den Agrarministern lägen. Die regierungsamtlichen Bauernvertreter hätten sich darauf beschränkt, ihre bisherige Politik als umweltfreundlich zu beschreiben, Änderungen seien nicht nötig.

In Wien sollen nun auch die Finanz- und Fischereiminister aufgefordert werden, Konzepte zur Umweltintegration zu entwickeln. Bei den Finanzministern etwa würde das bedeuten, daß die Ausgaben für Struktur- und Agrarhilfen generell auf ihre Umweltauswirkungen geprüft werden müßten. Im Grundsatz scheint sich die Integrationsstrategie langsam durchzusetzen. So wie es aussieht, braucht sie aber noch viel Unterstützung durch hartnäckige Umweltverbände, die den Regierungen auf die Finger schauen und die Nachlässigkeit öffentlich machen. Sonst verdient das ganze Konzept nicht mehr Aufmerksamkeit, als es bei EU-Gipfeln bekommt: Eine Fußnote im Abschlußkommuniqué.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen