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Avatare als Agenten

„Are you real?“ Virtuelle Popstars verkaufen zwar (noch) keine Platten, fungieren aber als werbewirksame Symbolfiguren  ■ Ulrich Gutmair

Wie virtuell ist eigentlich Bärbel Schäfer? Darüber läßt sich lange grübeln. Grund für solche – zugegebenermaßen leicht absurd anmutenden – Überlegungen ist die jüngste Flut an virtuellen Popstars, die im Internet oder in Videospielkonsolen hausen oder extra für sie zusammengeschusterte Fernsehshows moderieren. Im Idealfall sind sie wie die neuen Kommunikationstechnologien, nämlich überall. Sie heißen Lara Croft, Kyoko Date, Busena oder E-CYAS und scheinen ihren fleischlichen Vettern und Basen inzwischen kräftig Konkurrenz zu machen.

Die Damen und Herren aus Pixeln und Polygonen lassen zumindest keine Gelegenheit aus, um diesen Eindruck zu vermitteln und auch den ganz alten Medien Interviews zu geben. Dort erzählen sie dann, wie man sich als virtuelle Persönlichkeit so fühlt. Die Frage, was denn nun eigentlich der Unterschied zwischen den digitalen und den analogen Stars ist, der Technophobe wie Nerds fasziniert, läßt sich kaum am „Virtuellen“ selbst festmachen. Denn selbstverständlich sind auch Bärbel Schäfer und Michael Jackson Leute, die völlig uninteressant sind, solange sie auf dem Klo sitzen oder sich die Zähne putzen. Erst wenn sie mit technischen Apparaturen der audiovisuellen Medien verschaltet worden sind, erhalten sie den artifiziellen Sexappeal, der Startum per definitionem ausmacht. Schließlich gibt es den Star als Cyborg erst, seit es die Platten- und Filmindustrie gibt.

Den Umstand, daß der Unterschied zwischen Stars aus dem Computer und solchen aus teutonischen Fernsehshows, britischen Popmikrokosmen oder Blockbustern aus Hollywood so groß nicht sein kann, hat uns vor einiger Zeit die Japanerin Kyoko Date beschert. Der Legende nach entstand sie am Stammtisch. Einer ihrer Väter wettete, man könne das Teenie- Bedürfnis nach Identifikationsfiguren auch erfolgreich mit einem völlig virtuellen Star befriedigen. Ein Star also, der zumindest in seiner bildlichen Präsenz kein menschliches Trägermedium mehr benötigt. Kyoko Date wurde mit einer Biographie ausgestattet und trat mit einem Videoclip auf dem japanischen Popmarkt an. Obwohl sie für ein paar Monate tatsächlich die globale Medienlandschaft dominierte, verkaufte sich ihre Platte „Love Communication“ allerdings gerade 50.000mal. Als traditionelle Popsängerin ist Kyoko damit gefloppt. Ob virtuell oder nicht: Wenn es um die höheren Popweihen geht, zählt nur der richtige Song zur richtigen Zeit. Der Sound, der in den Ohren der Konsumenten den Nerv des Augenblicks trifft.

Wenn es also nicht ums Virtuelle geht, worum dann? Zur Klärung dieser Frage muß man wohl auf den ebenfalls vagen Begriff der Interaktivität zurückgreifen: Kyokos Schöpfer von der Agentur Visual Science Laboratory aus Tokio arbeiten schon am nächsten Projekt. Die Sängerin Busena soll mit ihrer gleichnamigen Band und sechs Videoclips demnächst die Popkanäle der Welt erobern. Als am Reißbrett entworfene Band steht Busena in der Tradition diverser Generationen von (Boy-) Groups, die seit Sweet von smarten Managern zusammengestellt werden. Der entscheidende Unterschied zu den traditionellen Stars besteht darin, daß Busena die Vorzüge des Internets nutzt. Als interaktive Figur soll sie von ihrer Klientel auch verändert werden können: Wer etwa ihr Originaltattoo nicht mag, kann Busena nach eigenen Wünschen modifizieren. Busena ist damit näher an den Fans, als das eine Madonna je sein könnte, auch wenn man inzwischen sogar ihren Schuhschrank aus irgendwelchen Hochglanzmagazinen kennt.

Die Japaner haben von Lara Croft gelernt, die längst den Status eines Popstars erreicht hat. Den hat sie nicht ihrer in Frankreich veröffentlichten und ebenfalls gefloppten Platte, sondern der Tatsache zu verdanken, daß sie die Heldin des extrem erfolgreichen Computerspiels „Tomb Raider“ ist: Je länger man sich mit ihr beschäftigt, desto besser lassen sich in Symbiose mit ihren programmierten Eigenschaften die Aufgaben von „Tomb Raider“ bewältigen.

Pubertierende Jungs hatten aber nicht nur ihren Spaß daran, via Sony PlayStation mit der vollbusigen Actionheldin und ihrem Maschinengewehr eins zu werden. Schon bald wurde die digitale Dame auf anderem Weg zum globalen Sexsymbol: Parallel zu ihrem Siegeszug auf der Videospielkonsole tauchten im Internet bald immer neue Variationen von Lara Pin-ups auf, die sich Fans unter Zuhilfenahme mutmaßlich raubkopierter Photoshop-Software zusammengebastelt hatten. Die Distanz der alten weicht der interaktiven Intimität der neuen Stars.

Noch einen Schritt weiter geht E-CYAS, ein Produkt der I-D- Gruppe aus Stuttgart, eine der erfolgreichsten Multimedia-Agenturen Europas, die sich durch Netzauftritte großer Unternehmen einen Namen gemacht hat. Auch E-CYAS hat sein Interview mit dem Lifestyle-Magazin Max längst hinter sich. Und bald auch seine erste CD, die im Titel die Frage nach der Virtualität noch mal aufnimmt: „Are you Real?“

E-CYAS selbst ist ziemlich „real“, er sieht so aus, als hätte man einen durchschnittlich aussehenden Twentysomething aus einem H&M-Shop entführt und digitalisiert. Genau diesen Eindruck soll der „Endo-Cybernetic Artificial Star“ auch vermitteln. Die „Biographie“, mit der E-CYAS ausgestattet wurde, komprimiert die Idee der Identität der Zielgruppe mit ihrem Star zu einem griffigen Image: „Es wurden 23 Studenten eingeladen, die nach ihren verschiedenen Talenten und Einstellungen ausgewählt wurden. Mit ihnen waren das Wissen, die Kultur, die Lifestyles und die Verschiedenartigkeit einer ganzen Generation versammelt. Deren Gehirne und die darin gespeicherten Erfahrungen und Emotionen wurden mit Hilfe eines neuronalen Scanners abgetastet und in einen Supercomputer eingelesen, um die verschiedenen Talente in einer Art ,Meta-Persönlichkeit‘ zu vereinen. Eines Tages geschah dann das Unglaubliche: Die Figur auf dem Bildschirm begann zu kommunizieren“, heißt es dazu im Netz. Die gefakte Biographie remixt raffiniert die Geschichte vom Golem mit der im ausgehenden 20. Jahrhundert beliebten Fiktion der künstlichen Intelligenz. Nicht ohne die Erkenntnis zu vernachlässigen, daß persönliche Identität letztlich eine Frage des kollektiven Lifestyles ist, der wiederum am griffigsten durch eine künstliche Figur repräsentiert werden kann. Im Gegensatz zu Kyoko Date und Busena ist E-CYAS' potentieller Status als hypermoderner Popstar aber nur Mittel zum Zweck.

Es geht nicht darum, mit E- CYAS Platten zu verkaufen, sondern eine ganze Generation von Netzneulingen aus der Welt da draußen in die virtuelle Welt da drinnen zu lotsen. Er ist vor allem die werbewirksame Symbolfigur und das zentrale Element des Cycosmos, einer Erlebniswelt im Internet, die die I-D Gruppe kostenlos zur Verfügung stellt. Dort sollen sich Besucher aus verschiedenen Figuren, Kleidungsstücken, Frisuren und Accessoires einen eigenen, sogenannten Avatar zusammenstellen. Mit diesem digitalen Platzhalter kann der Kontakt zu anderen Benutzern hergestellt werden: Im Cycosmos erfaßt eine Identitätskarte die jeweiligen Vorlieben der Spieler. Mit Hilfe einer Datenbank ermittelt E-CYAS potentiell interessante Gesprächspartner.

Bald soll E-CYAS als Avatar unter Avataren mit einem intelligenten „Human Interface“ ausgestattet werden, um eine weitere Rolle zu übernehmen. Schon heute legen intelligente Programme Nutzern Informationsangebote nahe, die sich aus deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe ableiten lassen. Je mehr Datenspuren eines Users vorliegen, desto genauer kann ein Softwareagent aus dem Verhalten der Kohorte ableiten, welche Informations- oder Konsumangebote er dem Nutzer vorschlagen könnte.

Agenten wie E-CYAS verkürzen wunschgemäß die Distanz zwischen dem Konsumenten und dem Objekt seiner Begierde, glaubt Gary Wolf, amerikanischer Journalist und Experte für Informationsmanagementsysteme: Schon deshalb würden solche Agenten früher oder später selbstverständliche Begleiter unseres Alltags werden. Sie füllen als digitale Geisterwesen die Lücke, die sich zwischen Nutzern und dem Informationsdschungel der neuen Technologien auftut, der in seiner Funktionsweise nur noch von der elitären Kaste der Programmierer durchschaut werden kann. Der Nutzer sitzt vorm Internet wie der Neanderthaler vor dem dunklen Wald. Blitz, Donner und Flutkatastrophen werden von Systemabstürzen und Börsencrashs abgelöst, hervorgerufen durch hyperschnelle Transaktionen in den Netzen.

Bekanntlich ist der Weg vom Animismus zur Animation nicht weit. Und nicht von ungefähr bezeichnet „Avatar“ im Sanskrit einen Gott, der menschliche Gestalt annimmt. In diesem Sinne sind die digitalen Stars von heute die guten Geister von morgen, die als anthropomorphe Schnittstellen die neuen Technologien handlich und verhandelbar machen. Das kann man von der virtuellen Nachbarin Bärbel Schäfer nicht behaupten.

http://www.vsl.co.jp/busena

http://www.e-cyas.de

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