Zwischen den Rillen
: Ehering oder Goldkettchen

■ R'n'B 2000: Whitney Houston bleibt sich treu, Timbaland knurrt im Hintergrund

Seit sich Diven wieder auf großen Bühnen zeigen können und Celine Dion sich mit den Honoraren ihres „Titanic“- Songs das Wohnzimmerparkett versilbern ließ, war es nur eine Frage der Zeit, bis Whitney Houston sich aufmachen würde, den ihr zustehenden Thron zurückzuverlangen. Nun ist es soweit, uuhuu-yeah-aahhaa. Zwar würde Whitney Houston niemals in der Schuhabteilung des New Yorker Nobelkaufhauses Macey's ihren Zweitwohnsitz aufschlagen oder zu Interviews mit kleinen Hündchen im Arm erscheinen, so wie ihre Konkurentin, Mitdiva und Duettpartnerin Mariah Carey. Sie würde auch kein sexuell explizites Duett mit Ol' Dirty Bastard aufnehmen oder sich in einem Videoclip in Stilettos aus dem ersten Stock einer Villa in den Swimmingpool werfen. Doch das muß sie auch nicht: Bei Whitney Houston regieren Stilsicherheit und Sophistication.

Das hört man auch an der Art und Weise des Singens. Wo immer Maria Carey koloratur- ähnliche Schlenker in ihre Gesangslinien einbaut, um zu zeigen, wie divenmäßig virtuos sie es bringen kann, reicht es Whitney aus zu wissen, es genausogut zu können, es aber bleibenzulassen. Wenn Maria Carey sich als Femme fatale mit elterlicher Farmanbindung stilisiert, kommt Whitney Houston vor allem als Ehefrau daher. Die Konkurrentinnen sind auf sie neidisch, weil sie den Ring am Finger trägt, den die anderen auch gerne hätten. Sie sitzt zu Hause und weiß, er treibt sich mit irgendwelchen Frauen herum, soll er doch, solange er danach seinen Koffer packt und verschwindet. Niemals würde sie systematisch die Kreditkartenabrechnungen des Gatten kontrollieren, aber daß er so wenig Klasse haben könnte, mit einem solchen Flittchen anzubandeln...

Seitensprünge sind schlicht unter Whitneys Würde. Abgesehen davon, daß sie Gott und ihren Eltern mißfallen und außerdem ein schlechtes Vorbild abgeben würden. Da wundert es nicht, daß ein Stück der Platte von Lauryn Hill produziert wurde, die ja auch immer dabei ist, wenn es darum geht, das moralisch Richtige zu tun. Den Rest haben die üblichen R'n'B- Verdächtigen der letzten zweieinhalb Generationen besorgt, und wo jemand wie Babyface die Regler schiebt, hört es sich einfach gut an. Doch wenn es nicht gerade Missy Elliott ist, die zwei Stücke produziert hat, ist das ganze Getue, dies sei eine neue Whitney Houston, überflüssig. Ist es nicht. Denn das letzte Drittel hätte auch auf jede andere Houston-Platte gepaßt, und die letzte davon kam immerhin vor acht Jahren heraus.

Das muß ungefähr die Zeit gewesen sein, als Tim Mosley anfing, sich als Kaffee-ins-Studio-Bringer bei den Swingbeat- Heroen Jodeci zu verdingen. Das dürfte nicht sonderlich erquicklich gewesen sein. Richtig schlimm aber wohl auch nicht, denn erst sechs Jahre später strich Mosley dort die Segel, um fortan als Timbaland im Jeep zu sitzen und die schwarze Musik aufs nächste Parkdeck zu heben.

Swingbeat war eine Soul-Unterabteilung und gleichzeitig jene Musik, die Anfang der Neunziger so ziemlich jedem verhaßt war, weil sie von nichts anderem handelte als Geld, Sex, Gutaussehen und der Sorge von goldkettchentragenden Innenstadtbewohnern, ob sich ihre Ladies auch allright fühlen. Niemand konnte das damals leiden, und alle vergaßen, daß es das jemals gab. Was heute dazu führt, daß sich alle wundern, wo denn diese wunderbare R'n'B-Musik auf einmal herkommt.

Timbaland jedenfalls kommt aus Norfolk, Virginia – genau wie Missy Elliott, deren Album er vor anderthalb Jahren mitproduzierte und die auch auf seinem Album überall mitmischt. Ansonsten weiß man über Timbaland nichts Genaues, denn er hält sich zurück. Er rappt nicht, er singt nicht: Timbaland bleibt lieber im Hintergrund. Hier ein Aha-aha, dort ein Refrain geknurrt, am liebsten wird gleich ein Vocoder dazwischengeschaltet. Doch um den Vordergrund braucht er sich gar nicht zu kümmern, das erledigen schon all diejenigen, für deren Platinhits Timbaland bisher verantwortlich zeichnete: Menschen wie Ginuwine, Aaliyah oder Jay-Z.

Und so gut sie das alle machen: Das Besondere an „Tims Bio“ ist nicht das Allstar-Aufgebot. Hier wird ein Projekt weitergetrieben, daß bisher immer Missy Elliott zugeschrieben wurde – die Fusion von HipHop und R'n'B zu etwas Neuem. Analog etwa zum Sound Of Philadelphia, der Mitte der Siebziger Soul und Funk zu Philly- Soul verschmolz. Und genauso tönen auch die Timbaland- Tracks. Dazu kann man Rappen, Singen oder Knurren: Dies ist das elegante neue Ding. Kompliziert und avanciert, gleichzeitig trotzdem radiotauglich und tanzbar. Verfrickelte und zurückgenommene Beats, dazu ganz viele Stimmen, die alle durcheinanderreden oder –singen. Doch eben nicht als Eckensteher-Jungshorde, sondern sehr dezent, als wenn sie alle in eine Human Beatbox eingesperrt wären, sich dort in einer Ecke versammeln und wettsingen würden: Aha-aha. Tobias Rapp

Whitney Houston: „My Love Is Your Love“ (BMG Ariola)

Timbaland: „Tims Bio: From the Motion Picture Life from Da Bassment“ (Virgin)