: Weiter, als Gregor Gysi meint
Innerhalb der Berliner PDS stoßen die Amnestieforderung der Bundespartei und die Verpflichtung des ehemaligen DDR-Agenten „Topas“ auf erhebliche Ablehnung ■ Von Ulrike Steglich
Die Vokabeln werden immer unfreundlicher: Vom diplomatischen „ärgerlich“ und „ungeschickt“ über ein klares „grober Unfug“ bis hin zum poltrigen „Dumpfbacken“ reicht die Kritik, die in der Berliner PDS an die Adresse der Bonner Fraktion und des Bundesvorstands wegen der Amnestie- und Haftentschädigungsdebatte laut wird.
Nachdem Ende letzter Woche neun Abgeordnete der PDS-Bundestagsfraktion – darunter die Berliner Landesvorsitzende Petra Pau – öffentlich die Anstellung des einstigen Top-Agenten Rainer Rupp alias Topas mißbilligten, werden nun, vor dem PDS-Bundesparteitag am Wochenende, immer mehr kritische Stimmen im Berliner Landesverband und an der Basis laut. Zwar soll sich der Parteitag vor allem mit der Wahl eines neuen Vorstandes und der Diskussion über ein neues Parteiprogramm befassen. Doch die Amnestiediskussion wird nach Einschätzung der Berliner Fraktionsvorsitzenden Carola Freundl dabei keine unwesentliche Rolle spielen.
Vorsichtig beschreibt Thomas Goetzke, Geschäftsführer der PDS im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg, die Stimmung an der Basis: Die Debatte sei „sehr differenziert“. Während der Tenor bei den älteren Mitgliedern sei, daß endlich Ruhe einziehen solle, da keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorlägen und der Vergleich mit dem Naziregime unzulässig sei, würden die Jüngeren stärker differenzieren, kritischer über „vorauseilenden Gehorsam“ urteilen und eher gegen einen „endgültigen Schlußstrich“ plädieren. Und Carola Freundl hat selbst an der eher traditionellen Parteibasis in Berlin-Mitte einmütiges Kopfschütteln über den Vorstoß beobachtet: „Offensichtlich“, so Freundl, „sind die Leute weiter, als Gysi meint, bedienen zu müssen.“
Klaus Lederer, Jungjurist und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der PDS in Prenzlauer Berg, beschleicht angesichts der Debatte vor allem eines: Frust. „Frust über den Stil“ der Bonner Fraktion, aber auch darüber, daß die PDS schlicht „die falsche Partei ist, solche Forderungen zu stellen“. Die ganze Debatte findet Lederer „verheerend“. Er fragt sich, ob eine sozialistische Partei nicht andere Probleme und Aufgaben habe?
Offenbar haben die „Bonner“ der PDS im Bundestag an Bodenhaftung verloren. Der Stil mangelnder Abstimmung kommt nicht nur bei Lederer schlecht an: Auch Katrin Lompscher, Mitarbeiterin der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, konstatiert „Mängel in der innerparteilichen Diskussion“ und schlechte Strategie, obgleich sie die Forderungen teilweise für berechtigt hält: „Amnestie ja, Haftentschädigung nein.“
Marian Krüger, innenpolitischer Sprecher des PDS-Landesvorstands Berlin, sagt: „Die Genossen an der Basis haben mit der Form des Alleingangs ein Problem.“ „Die PDS“, meint Krüger resümierend, „muß sich entscheiden, ob sie Ost-Interessen vertritt oder die der herrschenden Klasse der DDR.“ Denn beides, so meinen Krüger und die innenpolitische Sprecherin der Berliner Fraktion, Marion Seelig, lasse sich nicht in einen Topf werfen. Die Herrschenden von damals würden schließlich nicht deshalb verfolgt, weil sie Ostdeutsche sind, sondern weil sie Macht ausgeübt haben. Vielmehr weisen Krüger und Seelig auf „andere Formen der juristischen Ungleichbehandlung“ Ostdeutscher hin, die weit mehr zur sozialen Spaltung in Ost und West beigetragen hätten als die Strafverfolgung der politischen Machthaber: von unterschiedlichen Tarif- und Rentenregelungen bis zur Entschädigung: „Selbst Opfer von DDR-Justizunrecht bekommen nur die Hälfte der Entschädigung, die Westdeutschen zusteht.“
Das Spektrum der PDS-Wähler und -mitglieder ist allerdings groß, und so entstehen auch im eher reformfreudigeren Berliner Landesverband teilweise kuriose Konstellationen: Während mancher PDS- Wähler gerade eine Amnestie ablehnt, weil er die „westdeutsche Siegerjustiz“ und damit bisherige Verurteilungen generell nicht akzeptieren kann, hätte mancher Alt- Oppositionelle mit einer Amnestie noch das geringste Problem, um so mehr dagegen mit der Forderung nach Beendigung der Strafverfolgung. Ein entscheidender Punkt aber ist, daß die losgetretene Debatte nur wenig mit dem zu tun hat, was sich die unterschiedlichsten Lager der „bunten Truppe“ PDS wünschen: Aufarbeitung von Geschichte.
Doch obwohl die Debatte von vielen als „unglücklich“ empfunden wird, erwartet man keine negativen Auswirkungen auf die in diesem Jahr anstehenden Berliner Landtagswahlen. Goetzke sieht darin eher eine Chance für mehr Gespräche über die PDS und die DDR-Geschichte. Und auch Krüger, der sich der „politischen Kultur der Wende verpflichtet“ fühlt, verspricht sich von der Diskussion auch eine stärkere Besinnung der Partei auf jene Tradition. Drastisch formuliert es der Ostberliner Autor Wolfram Kempe, ein, wie er von sich selbst sagt, „einfaches PDS-Mitglied“: „Die PDS hat weiß Gott anderes zu tun, als als Versorgungspartei alter Kader aufzutreten.“ Für die Forderung nach Haftentschädigung hat Kempe daher nur zwei Worte übrig: „Politische Dumpfbacken“.
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