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Fünfhundert Jahre Jordt

Er müßte im Stall stehen und melken. Doch er sitzt am Computer und kalkuliert. Seitdem in Brüssel die Agrarreform verhandelt wird, wurde aus Jungbauer Jordt ein Buchhalter  ■ Aus Barg Uta Andresen

Um diese Zeit geht er durch seinen Stall. Sieht bei den „Jungs“ rein, die auf ihren Verkauf an den Nachbarhof hinwachsen. Geht in die „Mädchenabteilung“, um zu prüfen, daß auch jedes seine Portion aus der computergesteuerten Fütterungsanlage bekommt – schließlich sollen aus den weiblichen Färsen spätestens in zwei Jahren gewinnträchtige Milchkühe werden. Kontrolliert „die Großen“, deren Namen er im Kopf hat: Windlicht, Tagetes und vor allem die Saftige, die er auch seine „Hochleistungssportlerin“ nennt – 12.000 Liter im Jahr. 85 Milchkühe hat er insgesamt auf seinem Hof stehen, natürlich in Laufställen, denn „ein Tier, das sich nicht wohl fühlt, erbringt keine Leistung“. Auf dem Hof ist Tierliebe kein Selbstzweck.

„Fünfhundert Jahre Jordt“, sagt Jürgen Jordt, 29. Die Hände in den Taschen, ruckt er mit dem Kopf Richtung Bauernhaus – ein wuchtiger Backsteinbau mit breiter Treppe. 1499 sei der „erste Jordt“ in Barg, einem Dorf südlich von Flensburg, als Steuerzahler registriert worden. Das ist selbst in Angeln respektabel, diesem abgelegenen Landstrich in Schleswig-Holstein, wo der Sohn außer dem Hof des Vaters oft auch dessen Vornamen erbt. Hier, wo schon „Nachbar“ genannt wird, wer einen Kilometer weiter wohnt, ist ein Gebilde wie die Europäische Union abstrakt und weit weg. Doch in den letzten Monaten ist sie dem Jordtschen Hof ziemlich nahe gerückt. Zu nahe, wie die Jordts meinen.

Hoch subventioniert sind Europas Höfe, allein dieses Jahr gibt die EU knapp 80 Milliarden Mark für Agrarpolitik aus. Weil weit mehr produziert wird, als auf dem Markt gefragt ist, stützt Brüssel die Preise – und zieht sich damit den Zorn seiner Partner auf dem Weltmarkt zu. Die Agrarmacht USA drängt, die Preise dem Weltmarktniveau anzupassen und den Handel nicht durch subventionierte Überschußverkäufe zu stören. Innerhalb Europas gefährden die Zuschüsse Zukunftsprojekte, die Gelder werden für die Osterweiterung gebraucht. Und außerdem will Deutschland als größter Nettozahler der EU endlich weniger Gelder nach Brüssel abführen müssen. So wiesen die EU-Staatschefs Agrarkommissar Franz Fischler an, seinen Haushalt zu sanieren.

An diesem Tag versorgt „der alte Jordt“ die Tiere. Da kann der junge Jordt den Futterkittel aus blauem Drillich in der Waschküche hängen lassen und das tun, was er in den letzten Monaten häufig tut: kalkulieren. Seitdem in Brüssel über die Agrarreform verhandelt wird, malträtiert er sein Computerprogramm. Bei jeder neuen Meldung im Bauernblatt geht er zu seinem Bildschirm neben der Hofküche und versucht, die drögen Prozentzahlen, die aus den Verhandlungsrunden bekanntwerden, auf seinen Stall zu übersetzen. Milcherlös, Altkuherlös, Kälbererlös. Davon gehen die Kosten für Bestandsänderung, Kraftfutter, Mais, Rüben und Stroh, Tierarzt, Besamung, Wasser, Strom, Stall und Pacht ab. Ergibt umgerechnet auf 85 Kühe einen Bruttoerlös von gut 80.000 Mark im Jahr.

„Wenn der Kommissionsvorschlag durchkommt, sieht es schlecht aus“, sagt der junge Jordt. Der Kommissionsvorschlag, das sind 15 Prozent Preisabsenkung bei Milch, 20 Prozent beim Rindfleisch und 20 Prozent beim Getreide. Nach Jordtscher Rechnung wird sein Jahresbruttoerlös dadurch halbiert. Das Geld, das die Bauern für ihre Verluste entschädigen soll, reiche nicht annähernd, glaubt der junge Jordt. „Wir sollten zwar zu 80 Prozent entschädigt werden, aber wenn man das genau ausrechnet, bleibt nicht viel übrig.“ Knapp 40.000 Mark, läßt er den Computer kalkulieren, hätte er noch in der Hofkasse. Zu wenig, um einen Lehrling zu bezahlen, Versicherungen abzugleichen und eine demnächst fünfköpfige Familie zu ernähren. Von seiner eigenen Arbeitszeit ganz zu schweigen.

Vor drei Jahren hat Jürgen Jordt von seinem Vater den Hof übernommen, einen mittleren Betrieb mit Ackerbau und Milchvieh. Als im Nachbarort ein Landwirt aufgab, pachtete er dessen Land und Milchquote. Später wollte er nochmals expandieren, mehr Kühe kaufen, Platz genug wäre im Stall. Doch beim Bauernverband riet man ihm weder zu noch ab. Jeden Morgen greift Jürgen Jordt nun mißtrauisch zu den Flensburger Nachrichten, um nachzulesen, „was die da in Brüssel vorhaben“.

Das kann nicht funktionieren, ist man sich auf dem Jordtschen Hof sicher. „Man will Weltmarktpreise, aber keine Weltmarktbedingungen“, sagt der Jungbauer zum Dossier des Agrarkommissars Fischler, das einen langsamen Subventionsabbau anpeilt. Höhere Auflagen für Umwelt- und Tierschutz, Produktqualität und teure Arbeitskosten würden aus Deutschland einen unattraktiven Standort machen. „Ich will ja gar kein Hormonfleisch“, lenkt Jürgen Jordt ein, „aber ein Bauer kann nun einmal nicht seine Produktion ins Ausland verlagern.“ Dennoch könne man so nicht mit „dem Amerikaner“ konkurrieren. Und zur falschen Zeit käme die Agenda auch, schließlich werde die World Trade Organization die Weltmarktbedingungen 2004 erneut aushandeln.

Also noch ein paar Jahre Subventionen einstreichen und dann unvorbereitet im Weltmarkt aufprallen? „Wenn man schon dabei ist“, sagt Jürgen Jordt, „warum soll man dann nicht gleich Weltmarktbedingungen einführen? Lieber klare Verhältnisse.“ Der Bauer sagt das schnell, forsch – und weiß, daß die Höfe dann noch schneller sterben würden. Der Strukturwandel wäre dann ein Strukturschnitt.

Vor anderthalb Jahren stellte EU-Agrarkommissar Fischler sein Reformprogramm vor, seither dichten die Bauern: „Sterbende Höfe, sterbendes Land, alles durch Franz Fischlers Hand.“ So regelmäßig wie zur Feldbestellung marschieren die Landwirte in Brüssel auf, um zu protestieren. Ende März werden die EU-Regierungschefs in Berlin erneut über die Agrarreform verhandeln. Allein vier Milliarden Mark würden deutsche Landwirte jedes Jahr durch die geplante Agenda 2000 verlieren. Jedes Jahr müßten 40.000 bis 60.000 bäuerliche Betriebe in Deutschland aufgeben, warnt der Bauernverband und verschickt eifrig Pressemeldungen, die den Status quo verteidigen. Lieber eine schlechte Agrarpolitik als eine neue.

Dabei machen schon jetzt europaweit 200.000 Höfe im Jahr dicht. An Barg scheint das Höfesterben vorbeigegangen zu sein. Von ehemals acht bäuerlichen Betrieben gibt es in dem Ort, in dem 120 Menschen leben, immerhin noch fünf. „Das ist viel für die Gegend“, sagt Jürgen Jordt. Im Nachbardorf Dollerup sei von ehemals dreizehn nur einer übrig. Er selbst müsse in den nächsten zehn Jahren die Zahl seiner Kühe und die Ackerflächen verdoppeln, um rentabel zu bleiben. „Wachsen oder weichen, mit dem Familienbetrieb ist es dann vorbei“, meint Jürgen Jordt. Der Bauernhof wird zur Agrarfabrik.

Genaugenommen gibt es in Barg nur noch zwei Bauernhöfe. Bauer Doose bietet therapeutisches Reiten für Behinderte an, Bauer Jansen hat Erdbeerfelder für Selbstpflücker, die aus dem nahen Flensburg kommen, die Frau von Bauer Carstensen verdient das Geld damit, den Bäckereiwagen über Land zu fahren. Im Nachbarort gibt es „die Hofgemeinschaft“, einen Demeterhof, der seit zwanzig Jahren an die „schicken Leute aus der Stadt sein Ökogetreide verkauft“, wie der junge Jordt sagt. Der Bauernhof wird zum Dienstleistungsbetrieb.

Über „Nischen“ diskutieren die Jordts jetzt häufiger in ihrer Hofküche. Ferien auf dem Lande? Zu weit bis zur Ostsee. Bauerncafe? Der Kasten hier ist kein Gutshaus auf der Steilküste. Sommerblumen für den Markt? Vertrieb zu teuer. Vorzugsmilch? Kein Absatzmarkt. Und was bei dem einen funktioniere, garantiere noch lange keinen Erfolg für einen zweiten. „Kaum denkt man über eine Nische nach, ist sie auch schon zu eng“, sagt Jürgen Jordt. Was neuerdings in der Hofküche diskutiert wird, ist eine Idee der Schwiegertochter, die ihr Referendariat als Lehrerin macht: Kinderbetreuung auf dem Bauernhof anbieten oder gar Schulfreizeiten.

Doch der junge Jordt grübelt lieber über Kuhkomfort und Leistungsfutter, liebäugelt mit dem Betrieb im Nachbarort, dessen Besitzer sich zur Ruhe setzen will – und stellt Statistiken auf. Beim Vater paßten Rechnungen, Zuchtbuch und Papiere noch in die Schublade des Küchentischs. Der Sohn hat die Aktenordner im Büro gestapelt. Der Vater fuhr „auf die Bank“. Der Sohn macht Homebanking per Internet. „Ich verdiene im Büro mehr, als wenn ich draußen arbeite“, sagt der junge Jordt, „etwa durch Preisvergleiche.“ 600.000 Liter Milch liefere er im Jahr. „Wenn ich bei den Produktionskosten einen halben Pfennig pro Liter sparen kann, ist das ein halbes Monatsgehalt.“

Für diesen halben Pfennig macht der junge Jordt jetzt sogar etwas, womit sich die meisten Landwirte in der Region schwertun: Er teilt sich Arbeit und Maschinen mit seinem Nachbarn. „Ich pflüge bei ihm, er sät bei mir. Die meisten, die püseln allein auf ihrem Hof rum und denken, sie selbst können das doch am besten.“ Vielleicht kann er mit dieser Form von Nachbarschaftshilfe den Konkurs vermeiden, der statistisch gesehen, jedem zweiten Bauern droht.

Er sagt: „Wir Landwirte sind Ideologen – Sie können auch Idioten sagen.“ Er meint: Wenn er Land, Tiere, Stallungen und Maschinen jetzt verkaufen und den Erlös anlegen würde, könnte er von dem Geld leben – ohne um halb sechs Uhr morgens melken zu gehen. Man dürfe eben nicht am Hof kleben. Dann schiebt Jürgen Jordt das Kinn vor und meint: „500 Jahre ist es gutgegangen. Warum nicht auch bei mir?“

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