: Fischen im Karpatenteich
■ Tief in der Spur des ungarischen Komponisten Béla Bartók: Márta Sebestyén und das Ensemble Muzsikás treten im Pfefferberg auf
Nicht antagonistisch, sondern eng verwoben, so sah der ungarische Komponist Béla Bartók die Musikkulturen Mitteleuropas und des Balkans. Mit einem frühen Edison-Phonographen zog er zu Anfang des Jahrhunderts durch die Karpaten, den Quellen der ungarischen Folklore auf der Spur, sammelte akribisch Melodien und transkribierte skrupulös die Tänze der Dörfer. Seine Forschungsreisen führten ihn nach Rumänien und in die Slowakei, bis auf den Balkan und in den arabischen Raum. Béla Bartók, der 1945 im Exil in New York starb, war nicht nur der bedeutendste klassische Komponist seines Landes. Auch als Volksliedforscher und Ethnograph hat er Bedeutsames hinterlassen.
„Um die Besonderheit Béla Bartóks zu verstehen, muß man etwas über die Geschichte Ungarns wissen“, sagt Daniel Hamar, der Baßspieler der Gruppe Muzsikás. „Denn Ungarn war zu Bartóks Zeit auf eine Art zwiegespalten. Die Menschen in der Stadt hatten ihre eigene Kultur, kosmopolitisch und bürgerlich, und sie hatten keine Ahnung vom Leben auf dem Lande. Béla Bartók war der erste, der diese Musik entdeckt hat.“ Eine Art Erweckungserlebnis, so die Legende, führte zu dieser Hinwendung.
Laut Daniel Hamar ereignete sich die Geschichte so: „Bartók hörte, wie die Magd seines Nachbarn, die aus einem transsilvanischen Dorf kam, ein Lied sang, und er war geschockt von dessen Schönheit. Das hat ihn veranlaßt, nach weiteren solcher Melodien zu suchen. Er wollte wirklich an die Quellen gehen.“
Das jedenfalls verbindet das Ensemble Muzsikás mit Bartók. Auch wenn keine Magd im Spiel war, so zog es in den siebziger Jahren auch die klassisch ausgebildeten Musiker, wie ihren berühmten Vorgänger, zu den Ursprüngen der ungarischen Folklore in die transsilvanischen Alpen, zu musikalischen Fischzügen im Karpatenbecken, wo die Besucher aus der Stadt alten Mütterchen und wettergegerbten Dorfmusikern ihre altertümlichen Weisen ablauschten. Daß sich Muzsikás nun dem Werk Bartóks widmen, der die gleichen Feldstudien betrieb, klingt naheliegend. Doch der Respekt vor dem Säulenheiligen der ungarischen Musik gebot lange Geduld. „Wir haben uns schon seit zwanzig Jahren mit dieser Idee getragen. Aber ich denke, es war gut, daß wir es nicht früher gemacht haben. Wir kannten die Musik, jeder von uns hat ja einen klassischen Hintergrund. Trotzdem war es wieder eine Neuentdeckung für uns, weil wir sie nun mit einem ganz anderen Ohr gehört haben, als Volksmusiker eben.“
„The Bartók Album“, das Ergebnis dieser Auseinandersetzung, ist denn auch kein klassisches Werk. Kein Backkatalog des Komponisten, sondern eine freie Interpretation, die sich an den Originalen orientiert, derer sich Bartók einst bediente. Der rumänische Avantgarde-Geiger Alexander Balanescu, für ambitionierte Klassik-Crossover stets zu haben, konnte für die Aufnahmen gewonnen werden, die Sängerin Márta Sebestyén trat diesmal etwas in den Hintergrund. „Wir wollten zeigen, was die Stärke dieser Musik ausmacht, was Béla Bartók daran angezogen hat“, betont Hamar. „Es war eine intensive Arbeit. Wir hatten eine riesige Auswahl an Melodien, viel mehr, als wir am Ende auf die Platte nehmen konnten.“ Damit ist zumindest sichergestellt, daß ihnen auf der Bühne die Stükke nicht ausgehen werden.
Daniel Bax
Heute ab 22 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Mitte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen