: Armee in Abwicklung
Es wird schwer werden, die UÇK zu entwaffnen. Viele der Kämpfer mögen ihre Gewehre nicht so recht hergeben, zudem hat die Truppe zwei rivalisierende Flügel ■ Aus Tirana Erich Rathfelder
Tahir Zemaj empfängt Gäste in Plastiksandalen. Bei der UÇK gibt es keine Ränge. Aber Autoritäten. Die kurzen, bellenden Befehle des UÇK-Kommandanten werden schnell befolgt. Die ihm Meldung erstattenden Soldaten stehen stramm. Tahir Zemaj blickt stolz um sich. „Dieses Ausbildungslager haben schon 500 Soldaten durchlaufen“, die Ausbildung sei hart. Der Offizier hat selbst 23 Jahre in der Jugoslawischen Volksarmee gedient, zuletzt als Oberst, bevor er in Slowenien die Seiten gewechselt hat. In dem von Bergen umgebenen und UÇK-Soldaten geschützten Lager werden Männer trainiert, die alle taktischen Winkelzüge der jugoslawischen Armee kennen sollen. „Seit wir professioneller geworden sind, haben wir weniger Tote.“ Die jugoslawische Seite dagegen habe immer mehr Opfer zu beklagen. „Wir werden stärker, die Bombardements der Nato und unsere militärischen Fähigkeiten haben die Serben zunehmend in die Defensive gebracht.“
Nach dem Plan der G 8 werden die internationalen Friedenstruppen die Aufgabe haben, die UÇK zu entwaffnen. „Ich kann nicht entscheiden, wie wir uns verhalten werden. Als Soldat führe ich Befehle aus“, sagt Tahir Zemaj. Aber es ist ihm anzumerken, daß der Gedanke, die Waffen abzugeben, ihm nicht behagt. Denn die hier ausgebildeten Truppen gehören zur Elite der UÇK. Seit zwei norwegische Spezialisten hinzugezogen sind, werden die Soldaten auch mit Nato-Strategien vertraut gemacht. „Vielleicht“, so einer der Norweger, „können diese Jungs hier den Kern einer Polizeitruppe bilden.“
Auch im Hauptquartier der UÇK in Tirana herrscht Unsicherheit über den zukünftigen Status der Organisation. In Albanien lediglich geduldet, hat die UÇK viel Geld an die Behörden zahlen müssen, um ihre Armee im Lande zu etablieren. „Die Albaner haben das Embargo gegen uns sehr ernst genommen“, sagt Halil Bicaj.
In Bosnien war Bicaj selbst Frontsoldat. Er erinnert sich gern an die Zeit, als er Sarajevo zu verteidigen half. Jetzt ist er etwas runder und behäbiger geworden. Er gehört zu den rund dreihundert kosovoalbanischen Offizieren, die vor dem Krieg in der Jugoslawischen Volksarmee gedient haben, dann in Kroatien und Bosnien die Seiten wechselten und in der bosnischen wie auch der kroatischen Armee militärische Erfahrungen gesammelt haben. Mit seinen 46 Jahren ist Bicaj, der ehemalige Lehrer an der jugoslawischen Militärakademie, zum „Verteidigungsminister der Republik Kosova“ aufgerückt.
Er sitzt hinter seinem Schreibtisch im UÇK-Hauptquartier und gibt geduldig Auskunft über Dinge, über die er eigentlich nicht sprechen mag. „Wir werden nach den vorgaben der politischen Führer Hashim Thaci, Bujar Bukoshi und Ibrahim Rugova handeln.“ Noch sind nicht alle Einzelheiten geklärt. Denn die UÇK ist so tief gespalten wie die ganze kosovoalbanische politische Szener, der Posten des Verteidigungsministers ist zweimal besetzt. Halil Bicaj ordnet sich dem Flügel zu, der von der „legitimen Regierung“ unter Bujar Bukoshi, dem Premierminister im deutschen Exil, geleitet wird.
„Kosovo ist reich, es besitzt zwei Regierungen“, witzelt er. Seine Regierung sei sieben Jahre alt und aus Wahlen hervorgegangen, die andere unter dem selbsternannten Premier Hashim Thaci existiere gerade einmal sechs Wochen. Es ginge nicht an, im April einfach eine neue Regierung auszurufen, während der gewählte Präsident unter serbischem Hausarrest stand, ihn dann auch noch als Verräter zu brandmarken, ihn später aufzufordern, seine Leute in die neue Regierung zu schicken um sich dann dieser Tage um Ausgleich zu bemühen, fügt ein Adjutant hinzu. „Wir hier, wir sind immer für die Einheit gewesen“, sagt Thaci. Aber mit den „Linken“ sei die Zusammenarbeit schwierig. 19mal sei er mit dem Verteidigungsminister der anderen Seite, Azem Syla, zusammengetroffen, man habe immerhin einige Kompromisse erreicht.
Der knapp über 30 Jahre alte ehemalige Geschichtsstudent umgibt sich mit einer Aura der Unnahbarkeit. Auch Jakub Kasniqi, sein Sprecher, rückt sich in höhere Sphären. Der schlanke und etwas kränklich aussehende Geschichtsprofessor will zu den internen Auseinandersetzungen nicht Stellung nehmen. Abweisendes Verhalten der Presse gegenüber ist zu einem Markenzeichen der Thaci-Leute geworden.
Sie stünden in der Tradition der Studentenbewegung von 1981, trügen noch viele Elemente der maoistischen Ideologie in sich, seien letztlich Kommunisten, so lauten die Vorwürfe, die gegenüber den Thaci-Leuten auch von unabhängigen Intellektuellen aus Prishtina gemacht werden. Wer nicht gleich auf ihrer Seite sei, werde von ihnen als Gegner angesehen. Bujar Bukoshi, der Arzt und Premierminister im Exil, wird noch deutlicher. Bei der Fraktion des Hashim Thaci handele es sich um „Putschisten“, um Leute, die kein Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat hätten. „Wir müssen aber auch im Widerstand, im Krieg unsere legalen Institutionen respektieren.“ Außerdem ist den Bukoshi-Leuten die Nähe Thacis zur sozialistischen Regierung in Albanien ein Dorn im Auge.
Mit diesen Vorwürfen möchten sich Thaci und Krasniqi nicht auseinandersetzen. Im Bewußtsein, die UÇK gegründet und den bewaffneten Kampf aufgenommen zu haben, längst bevor Bukoshi und seine professionellen Militärs aufgetaucht sind, fühlen sie sich als die legitimen Führer des Volkes. Bukoshi werfen sie vor, der UÇK die von Kosovo-Albanern aufgebrachten Spendengelder vorzuenthalten und für den Ausbau seiner persönlichen Machtbasis zu benutzen. Bukoshi und seine Offiziere wollten sich an die Spitze einer Bewegung setzen, die sie noch vor Jahren bekämpft hätten.
Die UÇK Thacis hat sich nämlich aus einer politischen Bewegung heraus entwickelt, sie ist das Produkt einer politischen Diskussion von Splittergruppen, die 1992 und 1993 beschlossen haben, gegen die Strategie des Ibrahim Rugova den militärischen Kampf gegen die Herrschaft der Serben im Kosovo aufzunehmen. Daß angesichts der unprofessionellen Führung unnötig viele Menschen geopfert wurden, daß militärischer Dilettantismus zu verheerenden Niederlagen führte, hat aber zu einem Einlenken geführt. Die Forderung der Bukoshi-Leute, die Armee zu professionalisieren, wurde akzeptiert.
Große Summen seien in die UÇK geflossen, kontert Bukoshi die ihm gemachten Vorwürfe. Der seit Mitte April amtierende Generalstabschef Agim Ceku ist ein professioneller Militär, der in der kroatischen Armee gekämpft hat. Und der Bukoshi-Flügel sieht in Ibrahim Rugova immer noch ihren legitimen Präsidenten.
Die unterschiedlichen politischen Hintergründe jedoch könnten in der Frage der Demobilisierung zu unterschiedlichem Verhalten führen. Die professionellen Soldaten werden sich zurückziehen, wenn die politsiche Führung es will. Zwar betont Thaci jetzt ebenso wie Rugova und Bukoshi, daß er sich den internationalen Bedingungen beugen will. Der Kampf für die Unabhängigkeit Kosovos soll aber nicht aufgegeben werden. Beide Fraktionen kontrollieren unterschiedliche Gebiete in Nordalbanien. Während die Bukoshi-Truppen die Region um Bajram Curi beherrschen und von dort aus ein Stückchen von Kosovo um die ehemalige jugoslawische Kaserne von Koshare besetzt haben – der Landstreifen von der Paßhöhe bis zum Fuß der Berge ist etwa acht Kilometer breit -, kontrollieren die Thaci-Leute die UÇK-Truppen in der 60 Kilometer südlich gelegenen Region um Kukäs. Weniger erfolgreich als um Kashare versuchen sie seit Wochen, in Richtung Przren vorzustoßen. Eine dieser Offensiven wurde in der vergangenen Woche unter großen Verlusten auf beiden Seiten von den Jugoslawen zurückgeschlagen.
Nach wie vor donnern die serbischen Granaten auf das Grenzgebiet nieder. Die Soldaten ducken sich in den Unterständen, Nato-Kampfflugzeuge greifen die serbischen Stellungen an. Bis vor kurzem noch bereitete sich die UÇK darauf vor, weiter in das Kosovo einzurücken und die dort operierenden 15.000 bis 20.000 Mann zu unterstützen. Die Ebene dort unten scheint greifbar nahe zu sein. Deutlich ist der Hügel von Babaloq zu erkennen, die Städte Decani und Djakova. Sie schauen hinunter und verstehen nicht, daß sie immer noch in ihren Stellungen in den Bergen verharren müssen. Sie seien Soldaten, die Offiziere hätten zu entscheiden, wenn es nach ihnen ginge, wären diese Orte dort unten schon längst zurückerobert worden.
„Vieles hängt davon ab, was die internationale Gemeinschaft will“, sagt einer der Soldaten, der noch nicht so richtig an einen Friedensschluß denken will. Erst wenn die Waffen schwiegen, erst wenn die serbischen Truppen sich tatsächlich zurückzögen, würde er an den Frieden glauben können. „Wenn die Nato reingeht, gehe ich nach Hause nach Dossenheim bei Heidelberg, dort wartet meine Freundin, meine Arbeit.“ Seine Freunde lachen. „Ich will in die Polizeitruppe gehen. 1.500 bis 3.000 Mann sollen es werden“, hofft ein anderer.
Die Kommandeure an der Front bleiben bei diesen Fragen zugeknöpft. Noch sei nichts entschieden. Zwei Jeeps mit US-amerikanischen Soldaten sind im Grenzgebiet aufgetaucht und konferieren mit dem Kommandeur des Frontabschnitts, Rhusten Berisha. Über die Ergebnisse wird nichts gesagt.
Nur, man müsse abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Die Entwaffnung sei ein Prozeß, sagt Bujar Bukoshi in seinem deutschen Exil. Die Kommandeure nikken nur. Die UÇK sei zu Kompromissen bereit. Die Soldaten in den Schützengräben warten ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen