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Keine Entspannung im Kaschmir-Konflikt

■ Proteste in Pakistan gegen Rückzugsversprechen des Premiers

Delhi (taz) – Das Versprechen, das Pakistans Premierminister Nawaz Sharif bei seinem Besuch in Washington abgelegt hat, ist in seiner Heimat sehr ungnädig aufgenommen worden. Sharif hatte sich nach Gesprächen mit Präsident Bill Clinton am Sonntag bereit erklärt, „konkrete Schritte“ zu unternehmen, um die bestehende Grenzlinie mit Indien wiederherzustellen. Zu Hause wurde dies so gelesen, wie es gemeint war: Pakistan zieht seine bewaffneten Kräfte aus dem indischen Teil Kaschmirs zurück. Die Rückzugsbereitschaft wurde im Land mit Empörung quittiert. Die größte islamistische Oppositionspartei, die Jamaat Islami, sprach von Volksbetrug und einer vollständigen Kapitulation. In einer Reihe von Städten kam es zu Protesten, bei denen Puppen von Sharif und Clinton verbrannt wurden

In einer Pressekonferenz wiesen die 15 in Kaschmir operierenden Organisationen den „beschämenden Washingtoner Handel“ einstimmig zurück. Der Kampf in Kargil sei ein „Dschihad“, ein Heiliger Krieg, und Pakistan habe die moralische und (islam-)rechtliche Pflicht, den Befreiungskampf Kaschmirs zu unterstützen. Sharif habe aber keine Kompetenz, für die Mudschaheddin zu sprechen. Allerdings gab einer der Anführer zu, daß sie ohne Hilfe der Armee ihre Stützpunkte im „befreiten Teil Kaschmirs“ nicht länger als bis September halten können. Der Kampf gehe dennoch weiter, wenn nicht mit der Unterstüzung Sharifs, dann mit jener Allahs – „bis zum letzten Blutstropfen“. Auch die Zeitungen kritisierten den Regierungschef. „Warum wurde die Kargil-Initiative beschlossen, wenn sie nun so hastig und demütigend aufgegeben wird?“ fragte die regierungsnahe Nation.

In Interviews haben Sharifs Berater bereits angedeutet, wie er sich aus der Verantwortung stehlen kann. Dazu gehört das Argument, daß die Mudschaheddin unabhängig von Pakistan seien und daß die Regierung sie daher nur einladen und bitten könne, sich hinter die Kontrollinie zurückzuziehen. Eine weitere Abschwächung nannte Außenminister Sartaj Aziz, als er mit den „konkreten Schritten“ bei der Wiederherstellung der Grenzlinie nicht nur die jüngsten Verletzungen meinte, sondern auch angebliche Gebietsverletzungen, die Indien seit 1972 begangen habe.

Entscheidend wird nun das Verhalten der Armee sein. Generalstabschef Pervez Musharraf erklärte, die Armee stehe hinter dem Premierminister. Doch Hamid Gul, ein Ex-General und ehemaliger Geheimdienstchef, der als Sprachrohr der islamistischen Strömungen in den Streitkräften gilt, sah die Mudschaheddin bereits auf Islamabad marschieren und warnte vor einem Bürgerkrieg. Musharraf ist ein Mann des Premiers, der über keine eigene Hausmacht verfügt und bei einem Coup in der Versenkung verschwinden dürfte.

Eine Absetzung Sharifs durch die Armee ist allerdings nur eines der möglichen Szenarien nach dem für Pakistan demütigenden Gang nach Washington. Wahrscheinlicher ist, daß Pakistan die bittere Pille schluckt, sich aber mit dem Rückzug Zeit nimmt. Auch Musharraf meinte, der Rückzug der auf viele Stellungen verteilten Kämpfer werde sich langwierig gestalten. Indien zeigt sich vom Versprechen Sharifs ebenfalls nicht beeindruckt. Am Dienstag und Mittwoch kam es zu erneuten Kämpfen in der Batalik-Region, bei denen die Inder den strategisch gelegenen Jubar-Berg einnahmen. Bernard Imhasly

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