: Kein Ausstieg aus dem Mythos
Die Love Parade geht in ihr elftes Jahr, und es herrscht business as usual: Ihren Höhepunkt hat sie allerdings längst überschritten, heute ist die Liebesparade ein Volksfest für alle. Nur eine Parallelparade in Paris könnte ihr noch mal neues Leben einhauchen ■ Von Tobias Rapp
Vor einigen Wochen – das Sommerloch hatte bereits angeklopft, war aber noch nicht eingetreten –, da geisterte es durch Berliner Redaktionsstuben: Jetzt sei es endlich soweit, beim Love-Parade-Veranstalter planetcom habe es Streit gegeben, jemand wolle „aussteigen“ und „auspacken“, wo denn die Millionen geblieben wären. Genaueres wußte niemand, und woher das Gerücht kam, war genauso unklar. So prompt, wie es aufgetaucht war, verschwand es auch wieder.
Aus einem funktionierenden Mythos wird nicht ausgestiegen. Die Love Parade geht ins elfte Jahr, und es herrscht business as usual. Irgendwann tauchte sie aus dem medialen Windschatten auf, und nach einer kurzen Phase des Erklärungsnotstands gehört sie nun zum Inventar der neuen Hauptstadt wie das Luftbrückendenkmal zur alten Mauerstadt. Zwar ist Deutschland nicht zur Raving Society geworden, wie es vor Jahren noch angekündigt worden war, aber die Zeichen und Formen der Love Parade haben sich so sehr als Verhaltensraster über all diejenigen gelegt, die auf der Straße etwas demonstrieren wollen, daß zumindest ein Zeitreisender aus den späten Achtzigern heute keine der großen Demonstrationen mehr als solche erkennen würde – von der allwinterlichen Luxemburg-Liebknecht-Demo einmal abgesehen, die aber im Grunde ja auch eine Parade zur Liebeserklärung ist. Vom Berliner Karneval der Kulturen über den Christopher Street Day bis zur Hanf Parade geht es, seit die Love Parade es vorgemacht hat, weniger darum, Forderungen zu demonstrieren, als eher darum, die Attraktivität des mit bestimmten Haltungen verbundenen Lebensentwurfs in Szene zu setzen.
Selbst die Kreuzberger Demonstration zum „Revolutionären 1. Mai“ hat sich inzwischen die Love-Parade-Elemente herübergeholt, die sie braucht. Die wenigsten Autonomen hätten sich vor kurzem noch träumen lassen, daß eine auf einem Lautsprecherwagen aufspielende Band zur Hauptattraktion neben den Riots aufsteigen würde. Von der Love Parade lernen heißt siegen lernen. So funktioniert die Love Parade auch in ihrem elften Jahr für alle: Für die Techno-Szene, denn vom Keller-Club-Betreiber bis zum Groß-Rave-Veranstalter hoffen alle darauf, sich an diesem Wochenende zu sanieren. Für die politische Klasse Berlins, denn nirgendwo kann man besser zeigen, daß man nicht nur jung und modern ist, sondern daß man auch Spaß haben kann. Für die Stadt Berlin, denn bei einer schrumpfenden Wirtschaft kann nirgendwo besser das Innovationspotential des Berliner Standorts präsentiert werden. Für die ganze Familie, denn hier können sowohl die Eltern ihre Kinder mitnehmen oder auch andersherum. Für die Medien, denn vom öffentlich-rechtlichen Berlin-Programm B 1 über Viva bis hin zu RTL 2 wird für die ganze Familie übertragen. Als auch für all jene, die sehen wollen, wie zusammenwächst, was zusammengehört – denn die eine Hälfte der Parade startet im Westen und die andere im Osten, und die erste genuin gesamtdeutsche Jugendkultur ist Techno ja ohnehin.
Die einzigen, für die nicht alles nach Wunsch verläuft, dürften die Veranstalter selbst sein. Denn wie alle erfolgreichen Bewegungen hat Techno ein Problem: Es wächst nicht mehr. Solange sich die Teilnehmerzahlen von Parade zu Parade verdoppelten, ergab sich die Dynamik quasi von selbst. Und als der Umzug an die Siegessäule verlegt wurde, bedeuteten der neue Ort und die Symbolschwere des Brandenburger Tors noch einmal einen Schub.
Doch schon im vergangenen Jahr konnte nur unter großen Mühen verhindert werden, sich einzugestehen, daß weniger Menschen gekommen waren als im Jahr zuvor. Wer aber sein Geld mit der Vermarktung des Logos und der Bilder macht, der braucht entweder steigende Teilnehmerzahlen, deren Erwähnung die Menschenmassen nach noch mehr aussehen lassen, oder noch größere und spektakulärere Symbole.
So ist es kein Zufall, wenn der Love-Parade-Erfinder Dr Motte vergangene Woche ankündigte, die Parade werde aus Berlin wegziehen und nach Paris wechseln. Natürlich wird die Parade Berlin nicht verlassen, schon allein weil Deutschland für die Vermarktung von Techno das bei weitem wichtigste Territorium ist und für diesen Markt auf die Symbole der deutschen Hauptstadt nicht verzichtet werden kann. Doch die Idee, mehrere Paraden zu vernetzen, spukt ja schon seit längerem durch die Köpfe der Veranstalter. So es ist nicht unwahrscheinlich, daß die planetcom die sinkenden Teilnehmerzahlen dadurch versuchen wird aufzufangen, daß sie in Paris eine parallel stattfindende Zweitparade organisiert. Die Teilnehmerzahlen würden steigen, ein weiterer Markt wäre im Handstreich genommen, die Völkerverständigungsrhetorik würde schlagartig an Glaubwürdigkeit gewinnen und das neue Jahrtausend könnte beginnen. Genau wie es vor drei Jahren den qualitativen Sprung von einzelnen Trucks zu den vernetzten Lautsprechersystemen aller Wagen bei der Abschlußkundgebung gab, könnte man so noch einen Schritt weitergehen und die Siegessäule mit dem Pariser Triumphbogen verbinden.
Symbole hin, Politik und Wirtschaft her: Die Love Parade und die sie umgebenden Parties eignen sich vor allem und immer noch zum Feiern, und beide taugen auch als Indikator dafür, was gerade so abgeht auf Europas Tanzflächen. Das allerdings heißt: wenig Neues. Das Partyprogramm hätte so, wie es jetzt angekündigt ist, auch im vergangenen Jahr stattfinden können. Speed Garage oder Two Step haben den Sprung von London nach Kontinentaleuropa noch immer nicht geschafft, die vereinzelten Big-Beat-Aktivisten werden wohl auch dieses Jahr unter sich bleiben, und eklektizistische Beatbastelei, wie sie etwa vom Berliner Jazzanova-Kollektiv gefrönt wird, ist ohnehin nicht auf Massenkompatibilität angelegt. Wer dort hingeht, der will niemanden treffen, den er nicht schon kennt.
Natürlich wird die Parade Berlin nicht verlassen, einfach weil Deutschland der wichtigste Technomarkt ist
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen