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Schamlos dahergeplaudert

■ Vanillepudding, Bauchspeck und ganz viele junge Männer: Simon Bischoff zeigt in seinem Dokumentarfilm „Mein süßer kleiner Arsch“ das Leben eines Pensionärs in Tanger

Wie ein erigierter Penis läuft das weiß glitzernde Kreuzfahrtschiff in den Hafen von Tanger ein. Jean Neuenschwander blickt aus seinem Haus auf sein Leben, zieht sich Zahnseide durch den Mund, wirft einen Vitamin-B-Komplex ein und redet über die ekligen Teilchen, die er zwischen seinen Zähnen findet. Mit niemandem sollte man „schmusen“ – der Ex-Schweizer meint küssen –, weil Münder unhygienisch sind. Nur seiner nicht.

Ja, in diesem Dokumentarfilm von Simon Bischoff wird recht schamlos dahergeplaudert. Herr Neuenschwander erzählt gern über den Unterschied, eine „viel zu große Möse zu ficken“ oder ein „süßes kleines Arschloch“. Und wenn ihm eine Frau so richtig dumm kommt und nicht versteht, was toll ist am Sex zwischen zwei Männern, dann sagt er ihr: „Ihr habt doch bloß zwei Löcher.“ Die recht drastische und eitle Erzählweise der alten schwulen Europäer, die sich im angeblichen Sexparadies Marokko angesiedelt haben, hat Bischoff so geschickt per Video eingefangen, dass man teils empört, teils fasziniert der Selbstinszenierung zuschaut. Wären diese Typen nicht schwul, sondern „stino“, also hetero, würden viele ihrer Anekdoten über süße kleine Araber, die sofort einen Ständer bekommen, wenn einer dieser alten Geldsäcke am Strand entlangpromeniert, als sexistisch und absolut nicht p. c. gelten.

Aber „der homosexuelle Mann als solcher ...“ hat sich dieses Recht teuer erkauft. Denn hinter all dem Frohsinn über kleine Jungs die reiche Herren wie Neuenschwander anlächeln, scheint immer schon die Angst durch, nicht mehr attraktiv genug zu sein. Als Schwuler alt zu werden ist so lustig häufig nicht. Und so berichtet Neuenschwander stolz von seiner täglichen Morgenlatte, die er mit 64 noch hat. Er raucht und trinkt nicht, isst viel Gemüse und Obst. Das alles aus Angst, sein Ding könnte im falschen Moment mal nicht wie der Eiffelturm mitten in Tanger rumstehen. Die Angst vor der Impotenz lässt sich mit Kolonialstil und Geld einigermaßen kaschieren.

Im Endeffekt aber wissen Neuenschwander und seine Freunde natürlich nur zu genau, dass die Jungs, mit denen sie die Hotelnächte durchschwitzen, gekaufte männliche Prostituierte sind. Man ist zwei Wochen zusammen, der Europäer zahlt, und der dumme Eingeborene hofft darauf, durch einen dieser Ficks jemanden zu finden, der ihn nach Europa mitnimmt. Aber Schwule können nicht heiraten, schon gar nicht in Marokko, wo es nach Aussagen des Königs kein SIDA gibt, weil es keine Schwulen gibt. Deshalb müssen die Sextouristen die Jungs leider immer in Tanger zurücklassen. Pech für die süßen kleinen Ärsche. Aber in Europa würde es euch auch nicht gut gehen, denn „ihr habt ja keine Bildung“, erzählt einer der Herren. Er kennt einen Marokkaner, der Krankenhäuser putzt in Genf. Merkwürdig die scheinbar völlige Sexfixiertheit der Männer, immer geht's um das eine. Unheimlich stolz berichtet Herr N. von seiner ersten Begegnung in einer Klappe in der Schweiz.

Das vielleicht traurigste Bild des Films zeigt uns einen alten, depressiven Paul Bowles allein auf seinem Bett daliegen. Ansonsten viel Meer und Wellen. Eine gewisse Melancholie liegt über der Szenerie. Der Regisseur antwortet auf all die pfauenhafte Drastik mit zwei kommentierenden Schnitten. Nach der Morgengymnastik auf der Terrasse wird im nächsten Bild ein alter Hammel blutig abgeschlachtet. Als die Herren in trauter Runde vom ebenso blutigen Fettabsaugen quasseln, zeigt Bischoff, wie sie sich Vanillepudding mit roter Soße in die Schüsseln schaufeln. Marokko, Paradies der schillernden Illusionen und Lebenslügen Andreas Becker

Tgl. bis zum 15. 9. um 19 Uhr im Xenon, Kolonnenstr. 5, Schöneberg

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