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Archiv-Artikel

„Die gesamte Nahrungskette ist betroffen“

TRANSPARENZ Der chinesische Umweltaktivist Ma Jun stellt Daten über Wasserverschmutzung ins Netz

Ma Jun

■ 46, ehemaliger Journalist und Autor eines Standardwerkes über Chinas Wasserprobleme, gründete 2006 das Institut für Öffentlichkeit und Umweltangelegenheiten. (Webseite des Instituts: http://tinyurl.com/kmyqs9x)

taz: Herr Ma, die Wasserbilanz ist verheerend. Die Hälfte der Seen sind verschmutzt, ein noch größerer Teil des Grundwassers ist verseucht. Was bedeutet das für die Versorgung der 1,3 Milliarden Chinesen mit Trinkwasser?

Ma Jun: Ganz einfach – man senkt die Standards. Wie Wasser beschaffen sein muss, damit es die Bezeichnung „Trinkwasser“ verdient, dafür gibt es fünf Kategorien. Ideal wäre Kategorie 1, Kategorie 2 ist zumindest noch akzeptabel. In anderen Ländern wird Wasser der Kategorie 3 bereits als gesundheitsgefährdend betrachtet, weil darin giftige Substanzen zu finden sind. Weil ein Großteil des Grundwassers in China und auch das Wasser von über der Hälfte aller Seen höchstens der Kategorie 3 entspricht, wird es nun als Trinkwasser akzeptiert. Nach internationalem Standard hat damit etwa ein Viertel der chinesischen Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das sind Hunderte von Millionen und betrifft vor allem die Menschen auf dem Land.

Was sind die Folgen?

Die Durchfallerkrankungen häufen sich, ebenso Nieren- und Leberbeschwerden, die Krebsrate steigt. Das verschmutzte Wasser hat aber auch Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Die Qualität des Getreides sinkt und oft enthält es überproportional viel giftige Metalle.

Ist es in den Städten besser?

Mitnichten. Das belastete Wasser gelangt ja ins Getreide und in Obst und Gemüse, das wiederum den Städtern verkauft wird. Die gesamte Nahrungskette ist betroffen. Deswegen kommt es ja auch unter der städtischen Bevölkerung immer wieder zu unerwarteten Erkrankungen, die auf verschmutztes Wasser zurückzuführen ist. Längst hat die Wasserverschmutzung auch soziale Auswirkungen. Immer wieder kommt es zu Protesten, weil die Menschen Aufklärung über die Wasserverschmutzung und die desaströse Wasserversorgung verlangen. Chinas Wasserkrise ist längst Alltag.

Bewirken diese Proteste etwas?

Nicht wirklich. In einigen Fällen sahen sich die örtlichen Behörden aufgrund der wütenden Bürger zwar gezwungen, einige besonders schlimme Fabriken, die zur Wasserverschmutzung beitragen, zu schließen. Doch es gibt viele Fälle, bei denen sich trotz der Unruhen gar nichts getan hat. Ich sehe in Protesten auch nicht die Lösung.

Sondern?

Wir brauchen funktionierende Behörden, die für die Einhaltung der bestehenden Umweltvorschriften sorgen. Zudem muss ein allgemeines Problembewusstsein entwickelt werden. Das gelingt aber nur dann, wenn alle Beteiligte miteinander kommunizieren, um gemeinsam nach Lösungen zu finden. Das wiederum setzt den Zugang zu Informationen voraus. Aus diesen Überlegungen heraus haben wir eine Datenbank aufgebaut, die landesweit sämtliche Umweltverschmutzungen abbildet und aufzeigt, welche Unternehmen zu den besonders üblen Dreckschleudern gehören.

Wandel durch eine Datenbank?

Transparenz mag im Westen selbstverständlich sein. In China aber nicht. Ich halte den freien Zugang zu Informationen aber für eine wesentliche Voraussetzung, um überhaupt mit Veränderungen beginnen zu können. Seit Jahresbeginn müssen sämtliche Behörden und auch mehr als 15.000 Unternehmen ihre Umweltdaten der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Auf unserer Webseite haben wir diese Daten aufgelistet und sortiert. Zudem haben wir auch die Umweltsünden der Unternehmen aufgelistet, insgesamt mehr als 140.000 Verstöße.

Was bringt das?

Eine Menge. Vor allem internationale Firmen legen inzwischen sehr großen Wert darauf, dass sie in China mit Firmen zusammenarbeiten, die sauber produzieren. Adidas, Puma oder auch Siemens rufen regelmäßig unsere Daten ab. Allein Siemens arbeitet mit 10.000 chinesischen Zulieferern zusammen. Und das deutsche Unternehmen hat großes Interesse, dass keiner seiner Partner wegen Umweltsünden negativ in die Schlagzeilen kommt. INTERVIEW: FELIX LEE