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Jukebox Hero

Berlin Scanner: Haare waschen ohne Tränen. Als Louis Armstrong 1952 im Delphi auftrat, blieb in einem kleinen Herrensalon im Westen Berlins die Zeit stehen. Bei Friseur Anthofer in der Kurfürstenstraße war  ■   Axel Schock

Die Wurlitzer-Jukebox in der Ecke ist kaputt. Sonst könnte man jetzt Rudi Schuricke hören oder Chubby Checker. Oder die frühen Rolling Stones. Denn eigentlich stammt hier alles aus der Zeit, als Mick Jagger noch sehr jung war und richtig rumpelnden Rock 'n' Roll machte. Die Friseurstühle, zum Beispiel, die man mit einem Pedal in die passende Höhe hochpumpen kann, und die Registrierkasse, an der man noch kurbeln muss, damit im Sichtfenster die Zifferntäfelchen hervorschnellen. In Erwin Anthofers Friseursalon ist irgendwann vor 30, 40 Jahren die Zeit stehen geblieben. Und nur weil die Jukebox kaputt ist, läuft heute das Radio. Phil Collins. Das ist ein Stilbruch.

1992 hat der Exil-Bayer Erwin Anthofer den Laden von einem alten Friseur übernommen: „ ,Öffnungszeiten 9 bis 12 Uhr, mittwochs nach Vereinbarung‘, stand auf dem Ladenschild, das fand ich sympathisch.“ 35.000 Mark wollte der Vorbesitzer für den Laden. Das war viel Geld für Anthofer. Für eine neue Einrichtung blieb nichts übrig. Der neue Besitzer behielt das alte Inventar und bewahrte in seinem Friseurgeschäft das Flair des Wirtschaftswunders und der deutschen Heimeligkeit: Werbeschilder für Muratti-Zigarren und für Lisa-Shampoo („Haare waschen ohne Tränen“) und Reliquien der Fußball-WM 54. Kinoplakate mit den LeinwandheldInnen dieser Ära – von James Dean ober Marilyn Monroe bis zu Stan & Olli („Dick und Doof werden Papa“) bedecken fast deckenhoch die Wände: Souvenirs aus den jungen Jahren dieser Republik und aus Jahrzehnten, wo alles noch ein bisschen kleiner, netter und auch spießiger war (sagt der Romantiker). Anthofer hat im Laufe der Jahre viel auf dem Flohmarkt entdeckt und seine Sammlung ergänzt: „Trödeln kann ja zur Sucht werden.“ Und eigentlich hat ja alles nur angefangen, weil damals der Laden schon so aussah.

Vor der Jukebox kauert Emil. Der Boxer hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Mit traurigen Augen schaut er den fremden Gast an, dann verschwindet er hinter dem Tresen. Über dem Tresen, an der Wand, hängen Schwarzweißfotografien von Jazzgrößen der Fünfzigerjahre, und – artig mit eingerahmt – bei Louis Armstrong sogar die Eintrittskarte zu seinem Konzert damals in Berlin. 1952, im Delphi.

Was hier schon immer im Laden stand oder was erst im Laufe der Jahre dazukam, so genau weiß Erich Anthofer das selbst nicht mehr. Hunderte und aberhunderte Kleinigkeiten: Lux-Cremeseifen mit dem Konterfei von Heinz Rühmann, Wella-Haarschnitt-Vorschläge der Saison 1961, alte Mickymaus-Heftchen, um den wartenden Kunden die Zeit zu vertreiben. „Aber das Wichtigste ist immer noch das Haare schneiden“, sagt Anthofer mit ernster Stimme. Ein Herrenhaarschnitt kostet zwanzig Mark, mit Waschen acht Mark mehr. Faconhaarschnitte, sagt Anthofer, seien seine Spezialität. Dafür kommt mancher Stammkunde sogar aus Steglitz angefahren, und ein Geschäftsreisender aus Aachen lässt sich sein Haupthaar nur noch auf dem alten Friseurstuhl kürzen. Draußen beziehen jetzt die Nutten in der Kurfürstenstraße ihre Posten. Manchmal kommt die eine oder andere in Anthofers Salon. Haare waschen, Dauerwelle legen. Das langwierige Föhnen, sagt Anthofer, mochte er eigentlich noch nie so richtig.

Im Radio singt eine Boyband. Erwin Anthofer gönnt sich einen Kaffee aus einem Glasbecher mit buntem Bildmotiv. Emil, der Boxer, trabt mit traurigen Augen wieder zu seinem Platz vor der Jukebox.

Salon Anthofer, Kurfürstenstraße 39

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