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Silberpenis

■ Meier muss Suppe essen“: ein Stück von und mit Tilo Prückner im Teatr Kreatur

Der schreckliche Deutsche ist ein kleines Theaterungeheuer, ein Wiedergänger von Alfred Tetzlaff

Nichts mehr regt sich hinter den Vorhängen des Bettes, die Krankenschwestern flattern nervös durch die Flügeltüren. „Herr Meier!“ rufen sie. Herr Meier antwortet nicht. Also kriegt er den Exitusbeleg mit korrektem Datum und Uhrzeit an den Zeh gehängt: 1. Dezember, zwanzig Uhr zehn. Verfrüht. Denn diese Leiche lebt, und bei näherem Hinsehen treffen wir in ihr einen alten Bekannten wieder. Den ewigen Deutschen, wieder einmal theatralisch an einen Marterpfahl gebunden und ausgestellt. Diesmal von Andrej Woron im Teatr Kreatur.

Der Deutsche kam in Worons Inszenierungen bisher höchstens als Reflex der Untaten vor, die er in diesem Jahrhundert in Osteuropa verübte. Als atmosphärisches Grauen, aber niemals höchstpersönlich. Nun hat er in Meier Gestalt angenommen. Und siehe da, der schreckliche Deutsche ist bloß ein kleines Theaterungeheuer, ein Wiedergänger von Alfred Tetzlaff, ausgestattet mit den bei diesem Thema üblichen dramatischen Insignien: das Fragment eines Schubertliedes auf den Lippen, selbstherrlich, verklemmt, frauenhassend, weil als Kind von der Mutter unterdrückt und vom Vater mit dem Gürtel verprügelt. Nun ist er alt und liegt im Sterben. Albtraumartig jagen Szenen aus seinem Leben durch seinen Kopf, von Andrej Woron ins anstaltartige Krankenzimmer versetzt. Da tritt dann der prügelnde Vater (Holger Madin) in Uniform ebenso auf wie die frühreife Schwester (Morin Smolé) im Matrosenkleid.

Meier treiben seine Fantasien aus dem Bett, und so kommt irgendwann das Kankenhauspersonal, um ihn wieder dorthin zurückzuverfrachten. Ein fieser, kettenrauchender Arzt (André Putzmann) zum Beispiel, oder die Schwestern. Mitunter tragen sie sogar Kuheuter über der Tracht. Im Bett soll Meier liegen, und seine Suppe essen. Aber die kippt er sich natürlich übers Hemd, ins Bett und auf die Erde, suhlt sich genüsslich darin und leckt sie auf.

August von Unflath heißt der Autor des kleinen Stückes „Meier muss Suppe essen“. Hinter diesem etwas schwülstigen Namen verbirgt sich der Schauspieler Tilo Prückner, der auch den alten Meier spielt. Meier, Adi mit Vornamen. Jedenfalls rufen ihn so die Mutter (Suheer Saleh), die plötzlich unter dem Krankenhausbett liegt, um aufzupassen, dass „ihr kleiner Scheißer“ nicht ins Bett macht. Oder die Schwester, die in Meier, als er klein war, erotische Gefühle weckte, als sie ihm den sonntäglichen Schokoladenpudding aus dem Gesicht leckte. Und wir nehmen mal stark an, dass Adi die Koseform von Adolf ist.

Adi also, der stündlich den Exitus erwartet, tobt vorher noch ein bisschen und tyrannisiert Krankenschwestern. Schließlich muss man die Narrenfreiheit nutzen, noch mal richtig rumsauen und fantasieren. Je näher aber nun der Tod rückt, desto deutscher werden Adis Fantastereien. Am Ende sitzt er mit Stahlhelm auf einem kanonenartigen Silberpenis, Jungfrau Germania (Katja Bechtolf) tritt als goldgelockter Todesengel auf, und das Klischee feiert Triumphe. Wie schön ist doch das Bild des schrecklich bösen Deutschen immer wieder. Und auch: wie abgestanden. Esther Slevogt

Heute und morgen, jeweils 20 Uhr, Theater am Ufer, Tempelhofer Ufer 10

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