■ Nebensachen aus Warschau: Expräsident im Märchenland
Macht ist schön. Man hat Untergebene, vielleicht sogar ein Volk. Denen kann man Ukasse geben – nur zu ihrem Wohl natürlich. Die Mächtigen wissen immer, was für Untergebene das Beste ist. Dieses Wissen fliegt ihnen am ersten Tag der Amtsübernahme zu. Das ist auf der ganzen Welt so. Sogar in Polen. Problematisch wird es nur, wenn die Mächtigen als Frührentner abdanken müssen. Das ist bitter: Plötzlich ist das Volk weg.
Lech Walesa, der Arbeiterheld von der Danziger Leninwerft und spätere Präsident Polens, hat diesen Verlust nie verkraftet. Trost spendeten nicht einmal ausgedehnte Reisen in die USA, nach Japan und Bielefeld. Da reckte niemand im Publikum die Hand und brüllte: „Walesa! Führe uns ins nächste Jahrtausend!“ Daraufhin hätte Walesa staatsmännisch mit dem Kopf wackeln können, den Zeigefinger bedeutsam in die Luft gestreckt und orakelt: „Ich bin dafür und sogar dagegen!“ Am Ende hätte er sich natürlich wählen lassen.
Aber bislang waren diese Ausländer eine einzige Enttäuschung. Wie oft hat Walesa ihnen jetzt schon verklickert, dass sie ihn zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Europa machen sollen? Und? Wo bleibt der Ruf? Die Engländer fragen immer nur ungläubig: „Europe?“ Die fallen aus. „Mister Europe“ werden die nie rufen. Und die Franzosen hängen immer noch im 19. Jahrhundert. Zwar haben sie die Monarchie überwunden, aber sie fühlen sich jetzt alle selbst als Könige und posaunen: „En Europe on parle français.“ Sie werden Walesa nie zum „Monsieur L'Europe“ machen. Die Deutschen? Grauenhaft. Die haben nicht mal ein ordentliches Wort für den Job. „Herr Europa“? Wie klingt das denn? Kann man das jubeln? Es ist riskant, die Deutschen jubeln zu lassen. Das könnte im Fiasko enden. Also besser nicht.
Es muss doch irgendeinen Job für Expräsidenten geben. Walesa guckt gleich mal, was denn so die Deutschen machen. Scheel hat deutsches Liedgut geträllert; Carstens ist in der Versenkung verschwunden, von Weizsäcker hat Kriegserlebnisse aufgewärmt, Herzog hat sich noch nicht entschieden. Mit den Singen hat es Walesa nicht so. Kriegserlebnisse? Der Vater hat das KZ nicht überlebt. Die Engländer haben keine Präsidenten, sondern Königinnen. Danken die ab, sind sie die Oma der Nation. Auf die Oparolle ist Walesa nicht scharf. Mit 56 Jahren? Da werden andere noch mal Papa.
Die Franzosen: Mitterrand ist gleich gestorben. Giscard d'Estaing hat die Rolle des Elder Statesman übernommen. Und die Amerikaner? Reagan verliert sein Gedächtnis, Carter und Bush sind Elder Statesmen, Clinton wird wohl auch einer werden. Das aber würde Walesa keiner abnehmen. Zwei Bücher hat er schon schreiben lassen. Längst schon gibt es eine Walesa-Stiftung. Eine neue Partei hat er auch schon gegründet. Es hilft nichts: Das Volk muss Walesa wieder zum Präsidenten wählen. Da führt kein Weg dran vorbei. Wie soll es sonst zu seinemWohl kommen? Damit auch alle begreifen, wie gut sie es unter Walesa haben werden, dreht er nun einen Film – einen zum Träumen und Weinen vor Lachen. Im „Märchenland“ spielt der echte Walesa den echten Walesa. Der Regisseur spricht übrigens von Satire. Gabriele Lesser
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