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Applaus von der falschen Seite

■  Der Flüchtlingsrat bekommt heute den Preis „Demokratie leben“ vom Bundestag, dessen Politik den Engagierten die Arbeit macht. In der Organisation ist die Annahme umstritten

Sie erhalten eine Ehrung vom Bundestag. Doch gerade von dem wollen sie die eigentlich nicht haben. Der Flüchtlingsrat Berlin bekommt heute den Förderpreis „Demokratie leben“, der unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Thierse (SPD) vergeben wird. Zehn bundesweite Initiativen erhalten als ein „herausragendes Beispiel für Bürgerengagement“ jeweils 3.000 Mark. Der Preis soll als „Ideengeber für die Politik“ wirken.

Beim Flüchtlingsrat, der vor 18 Jahren von evangelischen Pfarrern gegründet wurde, ist die Auszeichnung umstritten. „Wir nehmen den Preis mit gespaltenen Herzen an, denn wir bekommen ihn von denjenigen, die immer inhumanere Gesetze gegen Flüchtlinge machen“, sagt Sprecherin Frauke Hoyer. Der Preis sei „höchst bezeichnend“ für die Unglaubwürdigkeit der Politik. Die Organisation habe sich dennoch entschieden, die Auszeichnung anzunehmen, um einer breiten Öffentlichkeit ihr Anliegen deutlich zu machen.

„Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, für die wir belohnt werden, sich für Menschenwürde einzusetzen“, sagt Mitbegründerin Rita Kantemir. Das werde jedoch immer wichtiger, denn die Wahrnehmung habe sich im Laufe der Jahre verschoben: Flüchtlinge und Asylbewerber würden von der Öffentlichkeit immer mehr als „kriminalisierte Masse“ und nicht als Menschen wahrgenommen. Schuld sei insbesondere das Asylbewerberleistungsgesetz, das Flüchtlinge als „Illegale“ und „Sozialschmarotzer“ stigmatisiere.

Anfang der 80erJahre waren es insbesondere Tamilen, Iraner und Äthioper, die keinen sicheren Aufenthaltstatus hatten, heute sind es Bosnier und Kosovo-Albaner. Der Rat, der sich mit rund 40 Mitgliedern zweimal im Monat zu einer ffentlichen Sitzung trifft, versucht Abschiebungen zu verhindern, wenn Gefahr für Leib und Leben droht, und setzt sich für bessere Lebensbedingungen der Flüchtlinge ein.

Diejenigen, für die sich der Flüchtlingsrat einsetzt, sind bei der heutigen Preisverleihung nicht erwünscht. Jede Initiative darf nur 5 Mitglieder in den Reichstag mitbringen. 1989, als der Flüchtlingsrat den Gustav-W.-Heinemann-Preis in der Frankfurter Paulskirche bekam, war das anders: 50 Flüchtlinge durften anreisen, darunter vier aus einem Berliner Abschiebegefängnis. Ein Pfarrer hatte die Bürgschaft übernommen.

Auch im Alltag ist das Engagement heute mühsamer und führt mitunter auch zu Resignation. Rita Kantemir: „Ich bin oft sehr ausgepowert, weil ich seit Jahren immer dasselbe tue.“ Letztes frustrierendes Bespiel war die Altfallregelung, durch die seit Jahren in Deutschland lebende Flüchtlinge, einen sicheren Aufenthaltstatus bekommen sollten. Die Regelung der Innenministerkonferenz ist jedoch so restriktiv ausgefallen, dass in Berlin nur wenige hundert ein Bleiberecht bekommen.

Dennoch lässt sich der Flüchtlingsrat nicht entmutigen. Die Organisation will weiter gegen das Asylbewerberleistungsgesetz angehen, mit Politikern sprechen, die Bevölkerung aufklären. An seiner Devise, dass jeder Flüchtling, der Schutz benötigt, auch aufgenommen wird, hat sich nichts geändert. Würden die Menschen in Wohnungen leben und arbeiten dürfen, könnte Deutschland 200.000 Flüchtlinge jährlich aufnehmen, sagt Kantemir. Julia Naumann

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