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This is Africa

Nirgendwo bewegt sich das Raubtier Kapitalismus in ideologisch so freier Wildbahn wie in Afrika. Das macht den Kontinent als Kulisse blutiger Thriller attraktiv. Mit Edward Zwicks „Blood Diamond“ kommt der aktuellste aus einer langen Reihe ins Kino

Bezeichnenderweise wird die finale Zeugenaussage des schwarzen Protagonisten am Ende einfach ausgeblendet

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Ein kleiner Satz aus „Blood Diamond“ hat es bereits zu einem Eintrag bei Wikipedia gebracht. Unter den vielen Auflösungen, die dort für die Abkürzung T.I.A angegeben werden – von „The Intellectual Activist“ bis zu „Tucson International Airport“ –, findet sich der Hinweis: „ ‚This is Africa‘, (slang) frequently used in the film ‚Blood Diamond‘.“ Das ist umso erstaunlicher, als der Ausdruck im Grunde nur an zwei Stellen im Film auftaucht. Aber er hat es eben in sich.

Von der stumpfen Einfachheit einer Aussage wie „This is Africa“ geht etwas Bedrohliches aus. Man kennt das von analogen Bildungen wie „Wir sind hier in Deutschland“. Verkürzt auf T.I.A. wird daraus eine griffige Formel mit der Aura eines geheimen Wissens. Breit grinsend erzählt im Film die von Leonardo Di Caprio gespielte Figur davon, wie die Abkürzung als Schlüsselwort seiner Militärzeit funktionierte. Wobei der Witz natürlich darin liegt, dass eine platte Aussage wie „This is Africa“ eigentlich gar keiner Verschlüsselung bedarf, all die negativen Assoziationen, die man mit dem Ort verbindet jedoch schon. Und in ähnlicher Weise, in der man bei „Wir sind hier in Deutschland“ im Hintergrund die Sekundärtugenden salutieren hört, den ganz alltäglichen Faschismus, bündelt sich in „T.I.A.“ das Gemisch aus Elend, Armut und permanentem Kriegszustand, das Afrikas Bild in den westlichen Nachrichten bestimmt.

In einer weniger auf Political Correctness bedachten Welt wäre dieses „This is Africa“ wenn nicht der Titel des Films, dann doch zumindest die tagline, der zentrale Werbespruch. Denn es sind die afrikanischen Verhältnisse, die die besondere Attraktion von Thrillern wie „Blood Diamond“, Fernando Meirelles’ „Constant Gardener“ oder Sydney Pollacks „Dolmetscherin“ ausmachen. Selbst der jüngste James Bond „Casino Royal“ nutzte Afrika als Schauplatz, um die Coolness seines Helden herauszustellen. In all diesen Filmen ist das Bild von Afrika so ziemlich dasselbe, wie man es in der Eingangsszene von „Blood Diamond“ sieht: Martialisch dreinblickende Milizen fahren durch ein Dorf mit lehmigen Straßen und schießen wahllos auf Zivilisten. Sadistische Soldaten, schreiende Kinder, weinende Frauen, Männer mit vor Schreck geweiteten Augen: This is Africa. Unser Bild von Afrika.

Es ist ein Leichtes, an diesen stereotypen Wiederholungen Kritik zu üben. Die Mängel sind auf fast lächerliche Art und Weise offensichtlich: In all diesen Thrillern taucht die schwarze Bevölkerung in den immer gleichen zwei Funktionen auf, als leidende Opfer und als brutale Täter, aber so gut wie nie als handelnde, zwiespältige, dreidimensionale Individuen. Das bleibt den weißen Figuren vorbehalten, die – man kann das als besondere Anmaßung kritisieren – im Fall von „Die Dolmetscherin“ und „Blood Diamond“ trotz weißer Hautfarbe als einheimische Afrikaner vorgestellt werden.

Aber wie gesagt: Diese Kritik an den Konventionen der Darstellung geht fast zu leicht. Interessanter ist da schon die Frage, was überhaupt die Attraktivität des Schauplatzes Afrika für Thriller ausmacht. Es ist auf jeden Fall nicht die Empathie mit der Dritten Welt und deren Problemlagen – auch wenn man auf der Handlungsebene in all diesen Filmen so tut, als ob. Die Farben von Landschaft und Kleidung, unterlegt mit jenem chorischen Gesang, der die melancholische Gefühlslage des schwarzen Kontinents popkompatibel auf den Weltmarkt gebracht hat, sind dabei nur das eine. Die Art und Weise, in der die weißen Helden vor diesem Hintergrund agieren, belegt das andere: Afrika, das ist der imaginäre Dschungel, der Ort des letzten Abenteuers. Dschungel steht dabei unverhohlen als Metapher für die dunkle Seite der Menschheit – nicht nur für Grausamkeit und Barbarei, sondern auch für das triebhaft Lebendige. Für die unabhängige westliche Frau, die gewissermaßen an ihrer eigenen Überzivilisiertheit leidet, stellt Afrika die Möglichkeit einer Begegnung mit verschütteten Bedürfnissen dar, ganz so, wie sich das als Topos einer gewissen Frauenerzählung seit „Out of Africa“ über „Die weiße Massai“ mittlerweile zur Afrika-Schwemme im deutschen Fernsehfilm massiert hat.

In den genannten Thrillern aber ist Afrika kein Ort für Frauen. Oder sagen wir so: Sie nehmen wieder den altvertrauten Platz derer ein, die gerettet oder, wie im Fall von Rachel Weisz in „Constant Gardener“, gesühnt werden müssen. Jennifer Connelly als Reporterin, die in „Blood Diamond“ den schmutzigen Geschäften eines Großkonzerns auf der Spur ist, kann alleine gar nichts ausrichten. Weshalb sie wohl auch so passend am helllichten Nachmittag in einer Strandbar „irgendwo in Sierra Leone“ herumsitzt, um sich von Leonardo DiCaprio ansprechen zu lassen. Die Szene ist so unwirklich wie altmodisch und erinnert an jene Abenteuerfilme aus den 50er- und 40er-Jahren, die man heute kaum mehr anschauen mag, weil das Setting bis zur Lächerlichkeit künstlich wirkt.

Dabei hat „Blood Diamond“ von all den Afrika-Thrillern der letzten Jahre noch den „realistischsten“ Hintergrund: Die Handlung ist in Sierra Leone in den 90ern angesiedelt, wobei der Film allerdings keinen Aufwand darauf verschwendet, diesen zeitlichen Abstand fühlbar zu machen. Die Probleme, die hier eine Rolle spielen, kennt man aus den Nachrichten: Konfliktdiamanten, Kindersoldaten, die auswegslose Situation einer Zivilbevölkerung zwischen Regierungsarmee und selbst ernannten Befreiungskämpfern. Nicht weit im Hintergrund drohen die beiden großen Hauptängste, die die westliche Welt auch gerne auf Afrika projiziert: Migration und Terrorismus. Mit all diesen Versatzstücken der realen Welt und einer explosiven Konfliktlage hat „Blood Diamond“ eigentlich das Zeug zum großen Thriller. Herausgekommen ist aber allenfalls interessantes Mittelmaß. Was doch wieder mit unserem verstellten Blick auf Afrika zu tun hat.

Handlungstechnisch gesehen ist die Hauptperson in „Blood Diamond“ der von Djimon Hounsou gespielte schwarze Protagonist Solomon Vandy. Er wird am Anfang entführt und zur Sklavenarbeit in den Diamantenfeldern gezwungen; es ist sein Sohn, der von weiteren Milizen zum Kindersoldaten ausgebildet wird, während seine Frau und seine Töchter als potenzielle Vergewaltigungsopfer im Flüchtlingslager landen. Mehr als genug Stoff für einen Actionhelden also, aber da Filme mit schwarzen Hauptdarstellern sich nun mal schlechter verkaufen, macht „Blood Diamond“ all diese „typisch afrikanischen“ Probleme kurzum zur Nebenhandlung und stellt stattdessen Leonardo DiCaprios Danny Archer in den Mittelpunkt.

Das Interessante an diesem Danny Archer ist nun, dass er ganz anders als etwas Ralph Fiennes im „Constant Gardener“ oder auch Nicole Kidman in „Die Dolmetscherin“ keine Figur des „good will“ ist. Leonardo Di Caprio spielt seinen „nativen Afrikaner“ – als Geburtsort besteht Danny auf Rhodesien – als altmodischen Abenteurer. „Soldier of fortune oder ist das zu sehr ein Klischee?“, stellt er sich selbst vor. Er ist eine Genre-Gestalt wie der Privatdetektiv im Film Noir; ein Spieler, der das Pokern nicht lassen kann; ein raffinierter Einzelgänger, immer nur auf seinen Vorteil bedacht und alles und jeden benutzt, um sich nach erfülltem Zweck wieder abzuwenden. Seine charakterliche Läuterung findet im Film konsequenterweise erst dann statt, als er nichts mehr zu verlieren hat. Doch völlig selbstlos ist die Wendung zum Guten auch wieder nicht, macht der letzte Akt den ominösen Diamantenjäger doch zum namhaften Helden, dessen Andenken geehrt wird. So hat er ein weiteres Mal erreicht, was ein Weißer halt so will: der Welt seinen Stempel aufdrücken. In seiner ganzen Fiktionalität, seiner Einbindung ins Thriller-Genre gibt dieser Danny Archer letztlich doch kein ganz unrealistisches Bild westlicher Ambitionen ab: das große Geschäft machen und dann abziehen. Damit wird auch klar, was Afrika als Thriller-Schauplatz gegenwärtig so besonders attraktiv macht: Nirgendwo anders lässt sich das Raubtier Kapitalismus in so freier und ideologisch ungebundener Wildbahn zeigen.

Zu Beginn von „Blood Diamond“, den Bildern der schießwütigen Milizen, die im Lehmstraßendorf einfahren, erklärt eine Stimme aus dem Off, dass es paradoxerweise gerade die Reichtümer sind, die Afrikas Elend herbeiführen: Überall da, wo auf dem Kontinent Gold, Öl oder Diamanten entdeckt werden, brechen augenblicklich Konflikte los, die Verarmung und Vertreibung zur Folge haben. Brav entlarvt der Film am Ende den skrupellosen westlichen Konzern, der von den Bürgerkriegen profitiert und sie deshalb schürt. Bezeichnenderweise aber wird die finale Zeugenaussage des schwarzen Protagonisten vor dem großen Tribunal der Weltöffentlichkeit am Ende einfach ausgeblendet. Was er zu sagen hat, interessiert en détail gar nicht mehr. In unfreiwilliger Deutlichkeit führt der Film selbst vor, dass zur Beschreibung der Verhältnisse im Grunde drei zynisch-affirmative Buchstaben reichen: T.I.A.

„Blood Diamond“. Regie: Edward Zwick. Mit Leonardo Di Caprio, Djimon Hounsou u. a. USA 2006, 138 Min.

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