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Kommt kuscheln, SPDler!

Die gewachsene SPD-Fraktion verordnet sich auf ihrer Klausur vor allem eines: Geschlossenheit. Nach dem holprigen Regierungsstart wollen linke und rechte Flügel offenen Streit vermeiden. Denn die Koalitionsmehrheit ist hauchdünn

Sie kennen das sicher: Sie haben einen guten Freund. Der kann leider partout nichts mit ihrer liebsten Freundin anfangen. Wie bringen Sie beide einander näher? Genau: durch die Kraft gemeinsamer Erlebnisse. Aus einem ähnlichen Grund führte die SPD am Wochenende ihre Abgeordneten, Staatssekretäre und Senatoren im Rostocker Hotel Sonne zusammen. Die Sozialdemokraten nennen das Treffen Klausur, aber „Schnuppertreffen“ wäre für die diesjährige Zusammenkunft auch ganz passend gewesen. Die Partei hat es bitternötig.

Die SPD hat nämlich ein Problem. 23 ihrer 53 Abgeordnetenhausmitglieder sind nach der Septemberwahl neu ins Parlament eingezogen. Die Fraktion ist um acht Mitglieder angewachsen. Viele Neuzugänge sind jung, manche waren selbst vom Gewinn ihres Direktmandats überrascht und betrieben Politik zuvor nur auf Kreisebene. Die Neuen möchten sich profilieren, mitreden, sich einmischen. Das hören viele Alteingesessene ungern. Ein „unverkrampfteres Verhältnis“ zu Diskussionen wünscht sich beispielsweise der Neuparlamentarier Sven Kohlmeier, 30-jähriger SPD-Kreischef in Marzahn-Hellersdorf. In der stark ritualisierten Dauerregierungspartei klingen derlei Einwürfe wie vorlaute Forderungen.

Das wäre unter anderen Umständen nicht weiter erwähnenswert, müsste sich Rot-Rot im Abgeordnetenhaus nicht mit einer hauchdünnen Mehrheit von zwei Mandaten begnügen. In der Fraktion kommt es auf jede Stimme an, selbst kleinere Diskussionen wecken schnell die Angst vor keimendem Zwist.

Deshalb hörte die SPD-Führung am Wochenende ganz genau hin, als „Berliner Mitte“ und „Aufbruch Berlin“ ihre Stimme erhoben. Die beiden als konservativ geltenden Parteiflügel machen einander Konkurrenz, zum Leidwesen von Parteichef Michael Müller auch öffentlich. „Aufbruch Berlin“ beispielsweise platzte kurz nach der Abgeordnetenhauswahl mit der Forderung in die Sondierungsgespräche mit Grünen und Linkspartei, die versprochene Einführung kostenfreier Kitas zu überdenken.

Die SPD-Flügelkämpfe hält ihr Parlamentarischer Geschäftsführer, Christian Gaebler, für ungefährlich: „Grundsätzliche ideologische Konflikte gibt es ja gar nicht mehr.“ Eine kurze Aussprache am Sonntag habe genügt, um die Wogen zwischen den rechten Gruppen zu glätten. Anders als noch vor zehn Jahren dominieren heute Linke die Fraktion.

Die Zusammensetzung der SPD-Fraktion zu erklären, ist etwas kompliziert: Die Fraktion wird von der „Parlamentarischen Linken“ beherrscht, nicht zu verwechseln mit der „Berliner Linken“, der auch Nichtparlamentarier angehören. Die hieß zuvor „Neue Vereinigte Linke“, seit sie sich 2001 vom „Donnerstagskreis“ abgespalten hatte. Die Parlamentarische Linke trug übrigens einen Kosenamen, dem die konsensversessene Partei künftig Ehre machen will: „Kuschellinke“. MATTHIAS LOHRE

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